Von der Sprache Art und Un-Art der Sprecher

 

Folge 2

 

Ein Biß-chen was aus dem Schulalltag:

 

 

Er sei eine schwierige Sache: der Konjunktivus als Fremdform im Deutschen... Sollen wir ihm, nach jahrhundertelanger Passion gnädig Asyl gewähren...?Oder wollen wir ihn exmatrikulieren...?

 

 

Man denkt - so, ohne Nachdenken, beim Denken oder Sprechen): Der Mann, der die Frau verfolgt hat, sei (wäre) der Täter (?).

Dazu die passabel dreiste Frage: Er ist nicht der Täter? Und es ist bekannt, dass er der Täter sein könnte oder war?

 

Weiteres sei zur Klärung nötig? Es sei geleistet...

 

Der Auferstandene spricht zu Maria Magdalena am Ostermorgen: „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater aufgestiegen.“ Zu den Jüngern im Coenaculum aber sagt er: „Rühret mich an.“ Vielleicht deshalb, weil die Berührung der Maria eine der Liebe, die der Jünger eine des Forschens gewesen wäre.[1]

(Aus: S.v.R.: Das Schwarze sind die Buchstaben. Köln 1957. S. 220.

 

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Wir betonen, daß wir die Bringer der Freiheit wären

 

Martin Bormann: Aktenvermerk über Hitlers Ausführungen hinsichtlich der zukünftigen Verwaltung in Rußland, 16.7.1941

Wir wollen uns aber nicht irgendwelche Leute vorzeitig und unnötig zu Feinden machen. Wir tun also lediglich, als ob wir ein Mandat ausüben wollten. Uns muß aber dabei klar sein, daß wir aus diesen Gebieten nie wieder herauskommen.

Demgemäß handelt es sich darum:

1. Nichts für die endgültige Regelung zu verbauen, sondern diese unter der Hand vorzubereiten;

2. Wir betonen, daß wir die Bringer der Freiheit wären.

(Aus: Deutsche Geschichte. 1933 – 1945. Dokumente. Hrsg. v. Wolfgang Michalka. Frankfurt/M. 1994.S. 244f.)

 

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In Marie Luise Kaschnitz’ meisterlich-poetischer Kurzgeschichte "Popp und Mingel", einer Story aus der Perspektive eines Jungen, geht es um folgendes:

 

Der Junge, dem die Mutter aus Ahnungslosigkeit den Spielkarton mit den Gestalten seiner Phantasiefamilie weggenommen hat, charakterisiert seine Mutter. Er wünscht sich, dass sie einmal wieder krank wird, dass er sie pflegen darf.

Wörtlich heißt es da: "Aber sie hat sich nie den Magen verdorben und immer ganz rosig ausgesehen, und sie hat auch oft gesagt, dass es ihr Spaß macht, ins Büro zu gehen, weil sie dort unter Menschen wäre und weil sie es so langweilig fände, den ganzen Tag zu Hause zu sein."

 

Die Konjunktive sind nur aus der Perspektive des Jungen erklärbar, er spricht Umgangssprache; er formuliert nicht "sei" und "finde", wie es der Deutschlehrer, der diese in Schulbüchern beliebte Geschichte sprachbesessen und formal fleißig korrigieren muß, pardon: müßte.

 

Dass es um den Konjunktiv im Deutschen schlecht stehe, verkündet jeder Pauker, der was auf sich hält; insbesondere Lehrer, die Deutsch als Fremdsprache für Ausländer unterrichten, wissen um die kaum behebbare Schwierigkeiten des "sei", "mache", "fließe" - oder "flösse"?

Nun gibt es verschiedene Strategien, um die Aussageweisen der indirekten Wiedergabe von dem gedachten, nicht konkret praktizierten Irrealis zu unterscheiden. Und bei in der Grammatik probehalber durchkonjugierten Verben klappt es ja auch meistens:

Er sagte, er müsse heute abend zum Deutschkurs und sei erst halb zehn zu Hause. - Bitte, erklären Sie einmal den Sachverhalt, lieber Leser: Natürlich der erste Fall, eine Wiedergabe einer Aussage, deren Richtigkeit nicht geprüft oder gar in Frage gestellt wird. - Sehen Sie, ‘s ist ganz einfach! Wenn es einem - immer - gesagt würde...!

 

Aber, wenn er nicht um zehn zu Hause wäre/sei, würde er die Nacht anderswo verbringen.

Okay; verstanden; er will eine bloß gedachte Möglichkeit ausdrücken. Die Aussage ist nur sinnvoll über eine nicht reale Bedingung, Handlung, Wunsch o.ä.

Und wie ist es mit dem angedeuteten "sei": wenn er nicht .... zu Hause sei - So ist es, als ob der Sprecher sich selber zitiere...

 

Und warum geht das Eine immer mit dem Anderen durcheinander, wenn es wirklich lebensnahe Sprache ist und nicht nur ausgewählte, meist konstruierte Beispiele?

Schauen wir uns in gedruckter Literatur um, so erleben wir immer wieder mißlungene Versuche (von der hohen, reinen Sprachwarte aus gewertet).

Ein deutscher mutiger und intelligenter Professor, ein Romanist namens Victor Klemperer, zu Recht berühmt wegen seiner posthum herausgegebenen Tagebuchaufzeichnungen, schreibt in seiner Autobiographie "Curriculum vitae" (deutsch: Lebenslauf) einen Satz, der halb richtig ist, halb falsch:

Er sei mein einziger Freund, den sich wohl unterschätze; freilich vermöge er mir nicht zu bieten, was ich von ihr empfangen hätte. (V. K.: Curriculum vitae. Bd. I. 1996. S. 194.)

Wo steckt hic et nunc der Fehler? Sind die ersten drei Verbformen richtig, so muß auch die vierte "habe" lauten. Im engagierten, besonders im mündlichen Deutsch verliert sich das "habe" aber allzu oft ins Unbedachte und läßt dem "hätte" den viel geläufigeren Platz.

Auch in den 20er Jahren gab es schon Versuche, den Konjunktiv, von dem kein Mensch alle Formen für alle Verben richtig einzusetzen weiß, geflissentlich zu übersehen. Rein logisch passieren (ohne die korrekte Konjunktivitis) auch kaum sprachliche Mißverständnisse.

 

Von Siegfried Lenz, dem noch immer rotgesichtig-glänzend Produkiven und viel Geehrten, weiß ich von einem radikalen Versuch zu berichten, in dem er pauschal alle Konjunktivformen vermeidet und den nächst erreichbaren Indikativ verwendet. Es ist in der schönen Novelle "Ludmilla" (dtv Bd. 12443) nachzulesen.

Beispiel: Sie [die Ludmilla] deutete nach oben, auf die Wohnung von Kapitän Brodersen, und wollte wissen, ob der alte Mann - sie hatte ihn offenbar gesehen - all die Sache verkaufte, die er ins Fenster gestellt hatte.

Der verbotsorientierte Deutschlehrer müßte anstreichen: nicht verkaufte, sondern, merken Sie sich das endlich, Herr Lenz, auch wenn Sie zu den Protestlern wg. der deutschen Rechtschreibreform gehörten (siehe Herrn Denks Fleißaufgaben mit Hilfe der BILD-BLÖD!): verkaufe!

Und wenn man weiß, dass in dieser Geschichte von einem deutschen Sprachlehrer und seiner deutschstämmigen Fast-Geliebten auch der Sprachunterricht thematisiert wird, ist es umso radikaler, dass der Autor Lenz den Konjunktiv ignoriert. Er erklärt ihn wohl für passé. In seinem nächsten Buch allerdings haben Verlag, Autor, Dudens Lehrmeister - und wohl einige Buchhändler, stille Kulturträger unserer siebzehn Stämme - sich anders besonnen - und sind wieder in die Umklammerung cum coniunctivo verstrickt.

 

Bis ein solcher Schritt für die normale Schule durchgesetzt wird, bedarf es noch etlicher Reförmchen. Wahrscheinlich sogar wird sich ein Gremium, in dem auch nur ein Deutschlehrer oder Germanistikprofessor sitzt, dazu hinreißen lassen. Aber es wird nichts nützen. Die Realität der Sprache geht ihre eigenen, verbotenen Wege. 

Bis dahin werden die Umgangssprache und auch das immer stärker fehlerhafte Schriftdeutsch in Zeitungen und die bewußte (wo sie möglich ist) konjunktivlose Prosa von Autoren Fakten schaffen: Der schwierige Konjunktiv geht im Deutschen den Weg alles zeitlich Überholten, alles kommunikativ Unnötigen. Sprachgebote retten nicht einen langfristigen Sprachwandel, der - vom situativen, zwischenmenschlichen Verständnis her - überflüssig geworden ist.

 

Lehre? Fazit? Order? Oder auch nur: Einsicht? Und was hülfe es denn auch einem Deutschlehrer oder fast der ganzen Zunft der germanistisch gebildeten Sprachdomestikatoren -, wenn er oder sie - den Konjunktiv rettete(n), aber die Seelen der Kinder verlören - und am Standard der Leitkultur (ja, die gibt es, kultürlicher- und notwendigerweise; aber nicht bei ihren Parteipolit-Propagandisten, also der Kultur unser Hoch- und (daneben auch) Umgangssprache der Deutschen nichts verbesserten?(Optativ als Wunschkonjunktiv; er sei erfüllbar, denke ich als Lehrer; oder: wäre, wenn... - oh Gott, meine Sprachzweifel an der System-Schule, der dummdolldreisten mit den Lehrern, die nicht mehr lernfähig, nur noch in der Gehaltsklasse steigerbar sind, also unlern-, pardon, -belehrbar und im Ruh(e)rgebiet sprachreif geworden, unabsteigbar aus der DUDEN-Liga.)

 



[1] Mir unverständlicher Konjunktiv: „wäre“.

 

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