Gert O.E.
Sattler:
Märchenhaft
Frauenhaftes
Bis zum Strande schwimmt die Nixe,
eine ganz besonders fixe,
schaumgekrönt und blitzeblank
baut sie eine Muschelbank.
Tief im Schilfe träumt die Nymphe
ohne Schuh’ und ohne Strümpfe;
was sie ist und was sie hat,
zeigt sie ohne Feigenblatt.
An der Quelle nach dem Bade
tanzt im Lichte die Najade
spielerisch auf nackten Zeh’,
nur ein Strandfink hat’ geseh’n.
Männer lieben Märchenwesen,
Hexen auf dem Reisigbesen,
Engel in der Sommernacht:
Gott hat Frauen so
gemacht.
**
Laute Welt
Es lärmt der Mensch auf dieser Welt,
er jault und johlt, wie’s ihm gefällt,
er sieht bei Brot und Spielen rot,
und manchmal trampelt er sich tot.
Er paukt und plärrt und ruckt und rockt,
er blökt und brüllt und schreckt und schockt,
er quiekt und quakt, er schrillt und schreit
und sucht mit and’ren Menschen Streit.
Die Nachtgestirne schweigen still,
weil Gott dem Menschen zeigen will,
die Ruhe liegt in jener Kraft,
die Gutes will und Großes schafft,
in Frauenlieb’ und Mannessaft.
Wär’ jeder Stern, der auf uns schaut
so penetrant und gräßlich laut,
ich glaub’, den Menschen platzten schnell
die Adern und das Trommelfell.
Nur schöne Leidenschaft macht Leben hell.
*
Türilit
Ich habe dich schon oft geliebt,
sogar im tiefsten Traume,
ich küßte nicht nur deinen Mund,
ich küßte deine Wangen ,
als Nachtigallen sangen: Türilit!
Ich habe dich schon oft umarmt,
und niemals warst du böse,
ich küßte nicht nur deinen Mund,
ich küßte deine Wangen,
als Nachtigallen sangen: Türilit!
Ich habe dich schon oft gespürt,
sogar in einer Hecke,
ich küßte nicht nur deinen Mund,
ich küßte deine Wangen,
als Nachtigallen sangen: Türilit!
Ich habe dich schon oft gefühlt
wie Tau im Glanz der Rose,
ich küßte nicht nur deinen Mund,
ich küßte deine Wangen,
als Nachtigallen sangen: Türilitl
Ich habe dich schon oft berührt,
du warst wie Samt und Seide,
ich küßte nicht nur deinen Mund,
ich küßte deine Wangen,
als Nachtigallen sangen: Türilit!
- Vgl. dieses
Gedicht von Theodor Storm:
Die Nachtigall
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
Sie war doch sonst ein wildes Kind;
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut
Und weiß nicht, was beginnen.
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.
*
Aphrodite
Die Liebesgöttin Aphrodite
Verläßt ihr tiefes Wasserschloß,
entsteigt dem Schaum der Meeresfluten
als Venus Pandemos.
Am Ufer steht der Mann der Männer,
als sie vor ihm die Beine spreizt,
da springt sie auf, die dunkle Rose,
die nicht mit ihrer Schönheit geizt.
Sie hat die ganze Welt erobert
und mehr bewirkt als Algebra,
Grammatik, Kunst und Wissenschaften:
Die Venus, Vulva, Vagina.
Sie hält den Götterkult gefangen
und schlägt die Männerwelt in Bann.
Wer kann der Venus widerstehen
im Rausch der Sinne, welcher Mann?
O süßes Lied der Rosenmuschel,
das Männern Kraft zum Denken nimmt,
die Venus folgt Naturgesetzen,
bis sie in Milch und Honig schwimmt.
Ein Vogelruf, ein Schlag der Brandung,
ein Schrei der gar nicht enden will,
die Männer sehen Sternkaskaden
von Agamemnon bis Achill.
**
Traumflug
Sie gingen beide durch den Sommer,
die Nacht war leise wie ein Blatt.
Er sprach: "Du bist ein Teufelsmädchen,
das Zauberkraft im Leibe hat."
Sie sprach: "Dann sei mein Herr und Richter.
Ich geh auf deine Wünsche ein.
Du sollst mich heiß und hochnotpeinlich
befragen überm Drudenstein."
Er sprach: "Du mußt mir alles zeigen.
Du hast als Hexe keine Wahl."
Sie zuckte wie ein Blitz im Frühling,
als er es sah: ihr Muttermal.
Da sprang sie auf, die dunkle Rose,
die Berg und Tal versetzen kann,
die sanften Hügel ihrer Lippen:
ihr ganzer Liebreiz zog ihn an.
Sie sprach: "Ich will nur dir gehören.
Ich will dich lieben ohne Ruh.
Er sprach: "Ich will dir Treue schwören
und Treue halten, immerzu.
Wir fliegen, fliegen alle beide,
wir fliegen beide weltenfern
astral gebadet durch den Äther
zu meinem - deinem - unser'm Stern!"
**
Bericht einer
Reinkarnierten
Sie sagt: "Ich hab im Mittelalter
gelebt, geliebt. Du glaubst mir nicht?
Ich war kein Baum. Ich war kein Falter.
Ich stand als Hexe vor Gericht.
Man suchte nach geheimen Flecken
und nahm mir alles bis aufs Haar.
Ich durfte nichts an mir verstecken,
was dem Gericht verdächtig war.
Der Inquisitor, schwarz die Robe,
der nicht von meiner Seite wich,
er machte selbst die Hexenprobe,
und er vernarrte sich in mich.
Ich mußte beichten und gestehen
bei meinem Schoß, bei meinem Leib.
Er küßte meine nackten Zehen
und sprach: "Du bist ein Katzenweib!
Mit dir Weib will ich brennen, fallen
und steigen zu der Sterne Licht.
Trotz Hölle, Teufel und Vasallen,
uns beide kriegt der Satan nicht."
Sie sprach von Messen und Dämonen,
vom Hexentanz, vom Bacchanal.
Und zum Beweis und im Vertrauen -
Bezeugt' sie es durchs Muttermal.