Beispiel eines literarischen Familien-Modells aus
dem literarischen Realismus
Analyse zu
Gottfried
Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe
Thema:
Liebe und Freitod zweier verlassener Kinder -
d. h. Streit um einen
Acker, Verlust der sozialen Funktionen zweier Nachbarsfamilien, ihr
wirtschaftlicher Ruin und die Unverbindlichkeit religiöser und Brüchigkeit
gesellschaftlicher Normen
- Eine Untersuchung zu Faktoren der Familie im
sozialen Gefüge, die als Wandel
ihrer funktionalen Strukturen aufgezeigt werden können -
Gliederung der Untersuchung
1. Einleitung
2. Ein Verstehensmodell der die familialen
Funktionen
2.1. Das Modell der Funktionskreise der familialen
Strukturen (nach H. Doer und G. W. Schneider: Soziologische Bausteine.
Bochum 1976: Studienverlag Dr. N. Brockmeyer):
2.2. Erweiterung und Verdeutlichung des
Ausgangsmodells, als Grundlegung für die Anwendung auf die vorliegende Novelle
3. Die Situation der Familien vor und nach dem
sozialen Bruch
4. Die Bruchstellen in den vermittelnden
Sicherungsfunktionen in und zwischen den Familien
5. Zu den funktionalen Aspekten der Schule und
Ausbildung im dörflich-gemeinschaftlichen Milieu
6. Zur religiösen Struktur in und zwischen den
Familien
7. Spiel und Übernahme späterer Rollen, die in den
Familien und in der Nachbarschaft vorgelebt werden
8. Weitere Funktionen, die das soziale Umwelt in den
Familien und den sozialen Gruppen prägen
9. Die außerfamilialen Bindungsmöglichkeiten
10. Zur bürgerlichen Funktion der Familien- und der
Personenehre
11. Das Patriarchalische (und Zerstörerische) in der
Okkupierung der Schutzfunktion der Familienstrukturen
12. Die Zukunft des Verstehens und des familialen
Wandels als Verstehensbereitschaft
13. Exkurs: Das Sonntägliche als besonderes
Strukturelement in der Novelle
1. Einleitung:
Die
vorliegende Novelle wird vom Dichter Keller in der Entstehung und Eskalation
der materiellen, sozialen und psychischen Konflikte zwischen zwei Familien
durch ein ziemlich präzises, bewußtes oder unbewußtes Netz von sozialen
Faktoren, geradezu in einem soziologischen Bedingungsgefüge und seiner
katastrophenmäßigen Zerstörung entwickelt und zur tragischen Klimax geführt.
Die Darstellung erfolgt durch erzählerisch genaue Beschreibung der Beziehungen
und Situationen zwischen Menschen in ihren Lebensbedingungen. Hierzu wollte ich
als einen textexternen Ansatz ein soziologisches Modell einführen, das einen
Überblick über viele kleinschrittige Veränderungen der Familienstrukturen einen
übergreifenden Blick ermöglicht, der späterhin genauer abgecheckt werden muß
auf die Leistung als Methode der Texthermeneutik.
2.1. Das Modell der Funktionskreise der familialen
Strukturen (nach H. Doer u. G.w. Schneider) [1]]):
Das auf Blatt
1 a im Anhang ausgewiesene Modell zeigt die früher (etwa bis zur beginnenden
Industrialisierung nach 1800) im Familienverband geleisteten psychosozialen
Funktionswandel im Vergleich zu den vielen sozialen, gruppenmäßigen und
staatlichen Institutionen, die die im Kern gleichartigen Funktionen heute vermitteln und verwalten, sie
ermöglichen und verzerren oder verändernd gestalten.
2.2. Erweiterung und Verdeutlichung des Ausgangsmodells,
als Grundlegung für die Anwendung auf die vorliegende Novelle
Die genauere
Ausarbeitung des übernommenen Modells (1b) soll nur soweit eingeführt werden,
daß das Anliegen der Untersuchung, die in der Novelle verifizierten und positiv
oder negativ ausschlagenden, familialen Bedingungen genauer gekennzeichnet
werden können. Das Modell wird hier in seiner Komplexität gezeigt, wie es für
den Wandel in den Familien nach 1800 bis in unsere Tage wahrscheinlich gemacht
werden kann. Auf dieser Folie des Gesamtmodells wird das soziale Netz der
Familien in G.K.s Novelle sichtbar gemacht in seinen Beziehungen und in seinen
entstehenden Lücken.
Dieser
historisch fortschreitende Unterschied in und mit den Familien wird hier in
dieser Arbeit familiensoziologisch als Wandel
der Funktionen von früher zu heute genannt; im Gegensatz zu
modernismuskritischen Auffassungen, die von einem entschiedenen Funktionsverlust der innerfamilialen
Sozialisation sprechen.
Solche
Faktoren sind festgelegt durch die Vorstellungen und Hilfsmöglichkeiten der
Familie, Nachbarschaft, Dorfgemeinschaft, Kirchenzugehörigkeit, der ländlichen
Wirtschaftsgemeinschaft (im Dorf) und der städtischen Lebensgemeinschaft (in
Seldwyla); sie werden näherhin bestimmt mitsamt den ökonomischen und juristischen
Formalitäten, d.h. rechtlich-verbindlichen Eingriffsmöglichkeiten und/oder dem
wirtschaftlichen Zusammenbruch.
3. Die Situation der Familien vor und nach dem Bruch
Textauskunft:
"Die Gedanken der sonst so
wohlweisen Männer waren nun so kurz geschnitten wie Häcksel" (S. 17/77)
[2]]
Die
selbstverständlichen, durch ländliche, erfolgreiche Wirtschaftsform der
bäuerlichen Landwirtschaft begründeten Lebens- und Aneignungsmöglichkeiten
sind, wie in der Exposition der Novelle dargestellt, in ihrem familiären Kern
offensichtlich nahezu unbeschädigt. Alle Familienmitglieder - Männer, Ehefrauen
und Kinder und das Gesinde - sind in rollenmäßig arbeitsfreudigem bzw.
vertraut-spielerischem Umgang miteinander bekannt und friedlich und erfolgreich
organisiert. Über die Rolle der Hausfrauen, die nicht nur in Küche und Kammer,
sondern üblicherweise auch in Haus und Garten selbständig sind in ihrer
wirtschaftlichen Funktion der Produktion der Lebensmittel und der Regeneration
der mitarbeitenden Mitglieder durch Verstehens-, Lebens- und
Versorgungsleistungen, erfahren wir nur wenig; die Rolle der Frauen ist aber
als funktionstüchtiges Pendant zu den Arbeitsleistungen der Männer auf den
Feldern als gegeben und gleichermaßen ordentlich vorauszusetzen; erst im
späteren Wandel, dem Prozeß der gegenseitigen ruinösen Wettbewerbs, wird
deutlich, daß die Frauen auch mitbetroffen sind vom materiellen und sozialen
Abstieg, der von den Männern ausgelöst wird. Ihr Schicksal soll hier aber nicht
weiter verfolgt werden.
Innerhalb dieses
Funktionskreises und der Rollenteilungen bietet die Familie Schutz und
Garantie, nicht nur für das wirtschaftliche Jahr mit Pflanz-, Saat- und
Erntetätigkeit für die Winterzeit, wie für die nächstjährig kommende
Aussaatsaison, sondern gewährt auch für langfristige Aneignungs-,
Entwicklungsarbeit und Erbfolge ausreichende, ja offensichtlich überschüssige
Mittel.
Zusammenfassend
kann ich formulieren, daß (in der Begrifflichkeit des vorgestellten Modells)
folgende Funktionen der beiden Familien abgedeckt und zufriedenstellend
gesichert sind: lebensmittelmäßige Bedarfsdeckung, liebevolle und zur
Zufriedenheit gelingende Reproduktion der Elterngeneration, Liebesbeziehung
zwischen den Partnern (zwischen den Geschlechtspartnern einerseits und zwischen Eltern und Kindern
andererseits), die Erziehung der Kinder für den Alltag, Festtag und religiöse
Lebensformen auf einem Hof, also die Sozialisation und Enkulturation; sie meinen Einpassung in die umgebenden
Strukturen, ebenso die Vorbereitung der sekundären sozialen Fixierung als
Hineinwachsen der nachwachsenden Generation in die zukünftige, wirtschaftliche
und emotionale Funktion der Lebens- und Erwerbsgemeinschaft.
4. Die Bruchstellen in den vermittelnden Funktionen
in und zwischen den Familien
Textauskunft:
„Denn obgleich diese [Marti und Manz] zu den besten
Bauern des Dorfes gehörten und nichts weiter getan hatten als was zwei Drittel
der übrigen unter diesen Umständen auch getan haben würden..." (S. 13/73f.)
Die Bauern
Manz und Marti sind geachtet als brave und erfolgreiche Landwirte, die ihre
Lebensverhältnisse und Arbeit rechtschaffen bestimmen.
Ein kleiner
Einblick in das funktionierende Leistungsgefüge eines Bauernhofs, auf dem die
Arbeiten eingeteilt werden durch den Bauern, zeigt sich für die Entfernung des
Wildwuchses auf dem vom Bauern Manz käuflich erstandenen mittleren Acker: Er
„schickte einen Dienstbuben, ein Tagelöhnermädchen und sein eigenes Söhnchen
Sali auf den Acker hinaus“; die Arbeit war eine als „Lust“ (S. 15/75); die
Jugendlichen arbeiten dort gründlich und leisten sich ein Freudenfest, „ein
letztes“, (S. 15/76) auf dem Unglücksfelde. Das weitere Aufräumen auf dem
wilden Acker ist dann eine „härtere Arbeit, zu welcher Mannsleute gehörten“ (S.
16/77).
Daß Sali,
kaum elfjährig, erstmals in die Arbeit geschickt wird vom Vater, gegen den
Wunsch und die "Einsprache" (S. 15/74) der Mutter, ist ein Bruch der
bisherigen Lebensbedingungen; es zeigt auch den neuen, energischeren und
kämpferischen Status des Bauern, daß der Sohn noch nicht zwangsläufig zur
Arbeit eingesetzt wurde, wie es bei anderer Leute (Tagelöhnern und Knechten)
Kindern üblich war.
Wie waren nun
die Bauern innerhalb ihrer Nachbarschaft gelitten?
Es ist schon
früh eine Zurückhaltung wegen der Streitigkeiten der zwei Nachbarn nach dem
Kauf des mittleren Ackers zu beobachten; Keller konstatiert eine Beobachtung
der Unrechtsauffassungen der anderen Bauern im Dorf, sie bringen als
beobachtende Nachbarn des Streites eine "zarte Scheu" (S. 13/74) auf,
da sie, so konstatiert G.K. verallgemeinernd, den "Auserwählten zu dem
Schlechtigkeitsmesser ihrer Eigenschaften" (S. 13/74) machen.
Vor der
Eskalation der Streitigkeiten zeigt Bauer Manz eine beachtliche Rücksicht auf
soziale Randbedingungen; er fürchtet eine Etikettierung ihrer Streites durch
einen "Übernamen", einen Spottnamen, der sozial die Funktion hat, die
moralische Normierung in sich respektierenden Gruppen aufrechtzuerhalten und
Abweichungen zu stigmatisieren und dadurch zur Einhaltung der bisher
herrschenden, nun angeknacksten Norm anhalten; also das neben Strafe und Ge-
oder Verbot wichtigste soziale Regulativ des Ausgleichs.
Doch Marti
ist schon zu seinem Gegner geworden, er "lachte und sagte: 'Du hast ja auf
einmal eine merkwürdige Furcht vor dem Gespötte der Leute!'" (S. 14/75)
Marti weigert
sich also, den sozialen Konsens des nicht auffälligen, um des dörflichen
Friedens willen nicht abweichenden Verhaltens weiterhin zu respektieren, das
das ländlich strukturierte, für alle gleich arbeitsintensive Leben in hohem
Maße wegen seines sozialkonformen Druckes zu bestimmen versucht.
Für den
Verlust der nachbarschaftlichen Bindungskräfte im Verlauf des zehnjährigen
Streites gibt Keller den Hinweis auf das Auftreten der beiden Bauern in
Seldwyla, "wo jeder in einer Spelunke sein Hauptquartier hatte..."
(S. 18/79); sie sind aus ihrer dörflichen Umgebung als einer sozial
kontrollierenden, nachbarschaftlich-gemeinschaftlichen Instanz ausgebrochen,
und Manz und seine Frau stecken schon vor dem Umzug des Manz nach Seldwyla in
dem Prozeß der Desintegration und der haushaltsmäßigen Desorganisation.
5. Zu den funktionalen Aspekten der Schule und
Ausbildung im dörflich-gemeinschaftlichen Milieu
Testauskunft: "...und brauchen bald zwei
Schulmeister!" (Marti zu Manz. S. 7/69)
Daß im
Dörfchen, eine halbe Stunde entfernt von Seldwyla, die Situation der
"Überbevölkerung" (S. 7/69) besteht - allein durch die Anerkennung
und Ansiedlung eines erbberechtigten
Mannes, des umherziehenden Geigers - ist sicherlich als Lüge, als Übertreibung
als ein vorteilswahrendes Vorurteil zu interpretieren. Daß das Dörfchen dann
einen "zweiten Schulmeister" brauche, um der Bevölkerungsituation des
Nachwuches zu entsprechen, ist ebenso ein ökonomisch bedingte Lüge als
Abwehrstrategie für Nichtgewolltes, für Unangenehmes. Dafür muß man wissen, daß
erstens die Schulsituation im Ländlichen immer erbärmlich war (durch die
fehlende Ausbildung der Lehrer, die totale kirchliche Überwachung, die
Verkürzung der Lernleistungen auf das pure Auswendiglernen von religiösen und
deutschkundlichen Inhalten: Bibel und Balladen); weiterhin die ökonomisch
prekäre Situation der Lehrer (als des typischen, abhängigen Hungerleiders, die
sich den reicheren Eltern andienen mußten, und ihre Ressourcen teils durch
eigenes Anbauen von Früchten und Aufziehen von Kleinvieh existenziell
verbessern mußten). Ein zweiter Lehrer wäre natürlich wieder von der Gemeinde,
in Absprache mit dem Pfarrer einzustellen und von der Allgemeinheit finanziell
zu tragen gewesen; eine echte ökonomische Belastung für reiche Bauern wäre
dadurch kaum gegeben, wenn man sich den allgemeinen Reichtum im fleißigen Dorf
vor Augen hält. Das Dorf wird allgemein als ein markantes, selbstverständlich
übertragbares, soziales Modell, aber nicht als individuell-einmalige Ausformung
fixiert.
Daß die
schulische Erziehung nicht explizit thematisiert wird als besonders krasses
Beispiel von Luderei charakterisiert wird, weist auf keine krasse
Störungsfaktoren hin; es könnte auch wohl mit Kellers eigenen schulischen,
bitteren Erfahrungen und seinen Lehren daraus zusammenhängen. Die Bauern müssen
auf jeden Fall mit dem jetzigen schulischen Zustand im Dorf cum grano salis
zufrieden gewesen sein. Eine Problemsituation in der Ausbildung und schulischen
Förderung ergibt sich für Sali und Verenchen nicht; sie bleibt jedenfalls
unerwähnt.
Daß Vrenchen
aber Bescheid weiß über den schulischen Bildungsverlauf, beweist sie in ihrem
hintergründig-ernsthaften Spiel, dem vordergründig-lustigen Geflunker mit der
Bäurin, die das letzte Bett aus dem Bauernhaus, abholt: Sie entwickelt eine
kommunikativ gelingende Szenerie der Nachbarschaft, der solidarischen Hilfe,
der persönlichen Beziehungen zwischen Bäuerin und "wohlhabender
Stadtfrau", zwischen ländlich arbeitenden Produzenten und städtischen
Abnehmern der Lebensmittel, zwischen freundlichen Bewohnern, zwischen Alt und
Jung, Gebern und Nehmern: "Eine gute, dauerhafte Freundschaft" kommt
"einem zugut in hundert Fällen, in Freud und Leid, bei Gevatterschaften
und Hochzeiten, wenn die Kinder unterrichtet werden und konfirmiert, wenn sie
in die Lehre kommen und wenn sie in die Fremde sollen." (S. 61/116f.)
Vrenchen
entwickelt - von Sali als dem Zuschauer hören wir in dieser Passage nichts -
eine konkrete soziale Utopie, die eine von wesenhaft weiblich emotionalem Denken
als selbstverständliche Verbindung freundschaftlicher, verwandtschaftlicher und
nachbarschaftlicher Faktoren und miteinander kommunizierender Personen geradezu
demostrativ geprägte Rede ist. Hier zeigt sich nicht nur, daß Vrenchen die
lustige und selbständige Person, wenn auch im Elend, ist, wie Keller sie vorab
charakterisierte (S. 20f./80f.), sondern die sozial kompetente, junge Frau, die
ein positives Gegenbild zu ihrer augenblicklichen, verzweifelten Situation
abgibt: ärmlich, aber reinlich, verlustig der sozialen Beziehungen, ohne
materiellen Unterhalt, ohne Unterkommen, ohne berufliche Perspektive; lediglich
der "Waisenvogt" hat ihr den Rat gegeben: "sie solle sich einen
Dienst suchen in einer Stadt..." (S. 59/114)
Oberhalb des
schwatzhaft-neckischen Tons dieses Gesprächs ist Vrenchen auf diesen zwei
Erzählseiten das Sprachrohr des konkreten Sozialutopisten und pädagogischen
Realisten Keller, der sachkundig und in der Fort- und sogar Gegenschreibung zur destruierten Realität des Mädchens
eine soziale, freundliche, konfliktlösende Welt jenseits von Arm und Reich
entwirft, die der Verf. in ihrer intuitiv-soziologischen Umsicht,
mitmenschlichen Verantwortung und phantasievollen Vielfalt beeindruckend
findet. Die ausgemalte Gemeinschaft aller der Freundschaft und Fürsorge Fähigen
bezieht sich sogar auch auf vorhersehbare, einkalkulierbare Mißstände:
"Mißwachs, überschwemmungen, bei Feuersbrünsten und Hagelschlag..."
(S. 62/117) - wofür es in der Mitte des vorigen Jahrhunderts keine versicherungstechnischen
Gewährleistungen gab. Zum Vergleich mit unseren Tagen: In der modernen, sozial
abgesicherten Lebenswelt unserer Tage finden wir solche Sicherungen und
schadensreduzierend-solidarisch ausgleichenden, kaufmännisch
erfolgsorientierten Versicherungen, die Risiken, Schadensfälle und
individuelles Unglück in einer finanziell-kollektiven Umlage absichern.
Auf dem
dargestellten, historischen Hintergrund der Novelle finden wir solche sozialen
Institutionen noch nicht. Neben der wohl nur kümmerlich ausgestatteten, als von
den Bauern zu teuer eingeschätzten Schule und dem lediglich knappen,
nichtsnutzenden Rat erteilenden Waisenvogt hören wir im Text vom
"Spittel" als einer Stiftung von Reichen und des Mitleids Fähigen;
neben den den unzureichenden, nicht soziale Gerechtigkeit vermittelnden
Leistungen der Kirchen, der Seldwyler Juristerei, die die Menschen in
fortlaufend Unrecht zeugenden Prozessen ruiniert, statt ausgleichend
vermittelnd zu wirken, finden wir keine weitere uns selbstverständliche
Institution zur Sicherung oder Unterstützung der familialen und sozialen
Leistungen.
Auf diesem
Hintergrund, sagte ich, entwickelt Keller in der zauberischen und realen Phantasie des Mädchens eine
Gegenwelt von sozial verträglichen Beziehungen und Lebensformen der miteinander
gerechten Handel treibenden und zur Freundschaft fähigen, miteinander
verkehrenden Menschen - pardon, so
gibt es uns der Text explizit aus dem Munde Vrenchens und der erst ungläubigen,
dann überraschten Bäuerin zu verstehen - eine miteinander verflochtetene
Lebenswelt der Frauen, formuliert mit
weiblichem Vorstellungvermögen als direkte, symmetrische Kommunikation und als
Ausgleich von Störungen oder Belastungen in der sozialen oder natürlichen
Umwelt (übrigens einschließlich der selbstverständlichen Anrufung Gottes in den
Notfällen (S. 62/117)
In der
weiteren Geschichte, dem Auftritt und der Entscheidung im Paradiesgärtlein,
entwickelt der schwarze Geiger dem jungen, suchenden Paar eine solche, der
idyllisch-utopisch skizzierten Welt angenäherte Lebensgemeinschaft; in der, so
sagt er, "ich" "euch behilflich und dienstfertig sein"
werde, "wenn ihr mir folgt (S. 80/133)." Wegen moralischer Skrupel,
die durch die nur lax gelebte Treue zwischen Liebenden genährt sind, verweigern
sich Sali und Vrenchen dieser anderen Lebenswelt der Nonkonformen, die Keller
als erstaunlich stabil, sittlich orientiert im anarchischen Sinne und typisch
für das Hudelvolk charakterisiert, in dem die Menschen gerade so viel arbeiten,
wie sie für den notdürftigen Konsum und die Festlichkeiten brauchen.
6. Zur religiösen Struktur der dörflichen
Gesellschaft ayls Bindekraft zwischen Kirche und in und zwischen den Familien
Textauskunft:
„Aber sollen wir unsern Taufstein tragbar machen und in den Wäldern
herumtragen? Nein, er steht fest in der Kirche, und dafür ist die Totenbahre
tragbar, die draußen an der Mauer hängt.“ (S. 7/69)
In zwei
weiteren Punkten sind hier Bruchstellen in den früher als stabilen angesehenen
Strukturen vermerkbar: Sie betreffen die kirchliche Bindung der beiden Bauern
Marti und Manz; sie sind großmäulig einig in dem Punkt, daß sie nicht willens
sind, den gesprächweise als legitim ausweisbar bekundeten Erben des mittleren
Ackers zu seinem Erbrecht zu verhelfen. Sie begründen ihre Meinung nicht als
eingesehenes Unrecht, erst recht nicht so bezeichnetes Verhalten mit der
Funktion und Leistungsbereitschaft kirchlichen Dienstes, d.h. der faktisch
standesrechtlichen Beurkundung durch den Pfarrer in der Kirche: Nur wer sich in
der Kirche taufen, d.h. in seiner familiären und erbrechtlichen Abstammung
eintragen läßt, bzw. dessen Eltern für diesen kirchlichen und zivilen Rechtsakt
sorgen, kann auch das tatsächliche materielle Erbe einfordern und auch
einklagen.
Für die
religiöse Bindung und Erziehung als Lebenshilfe, gar als Überlebenshilfe für
Sali und Vrenchen, gibt es in der Novelle keine weiteren Beschreibungen; die
Eingreifsmöglichkeiten und Leistungen der gerade im ländlichen Raum den
Individuen übergeordneten Pfarrer als Kirchenvertreter für die religiöse
Sozialisation stellen keine von Keller als notwendig zu beschreiben gehaltene
Attraktivität oder gar soziale Verpflichtung dar; sie sind nicht fähig einer
aktiven Demonstration, z.B. der Nächstenliebe oder Gerechtigkeit; mit beidem
kann der verlorene, ungetaufte Sohn, der Geiger, nicht rechnen.
Sali und
Vrenchen besuchen auch auf ihrem sonntäglichen Spaziergang durch die Dörfer
keine Messe in einer der lautstark vernehmbaren Kirchen; nur die Glocken als
ferner Klang aus verschiedenen Richtungen repräsentieren Dasein der Institution
mit dem heilsgeschichtlichen Auftrag als akustisch aufwendiges,
folkloristisches Angebot, als Stimmungselement am Kirchweih-Sonntag[3];
faktisch ist dadurch das kirchliche Angebot der Heilslehre oder des Besuchs der
Kirche als Gottesdienst kein reales geistiges, kein gemeinschaftliches oder
soziales Instrument mehr; es ist in seiner eigenen Symbolik und
partiell-temporären Klang-Ästhetik aufgehoben, lediglich ein schmückendes
Ingredienz. Ich möchte hier die weiteren kritisch eingeblendeten religiösen
Motive fortlassen (vgl. die ins völlig Irdische-Festliche-Lebensfrohe gewendete
Symbolik im Paradiesgärtlein); für die beiden "verlassenen Wesen" (S.
79/132) [4]] am Kirchweihtage sind
religiöse Begriffe und Ideen in keinem Wort ihrer Verabredung zur Hochzeit und
in der Entscheidung zum Freitod gegenwärtig oder als Rest einer Gewissens
nachklingend. Ich lese die Novelle in diesem Punkte der Verpflichtung auf
Göttliches im Menschendienst, als Nächsten- oder gar Fremden- und Feindesliebe,
geradezu als auffällig defizient, nämlich als eine ästhetische und semantische
und christliche Leerstelle; jede mögliche soziale oder religiöse Metaphorik der
verabredeten, anarchisch-illegitimen Hochzeit und des anschließenden Freitodes
ist auf ex negativo reduziert; sie ist auf ihre natürliche, nicht mehr
kirchliche oder transzendente Realität verwiesen: auf die intensive und
naturnahe Bildlichkeit (des Vollzuges des Liebesaktes in Kongruenz zu der
Bewegung des Heuschiffes und seiner Fahrt auf dem Fluß).
G.K. hat sich
hier, im Höhepunkt der Novelle, am konsequentesten für die Realisierung des
positiven Atheismus in der Fülle der auch realen, persönlichen, auch sinnlichen
Lebensmöglichkeiten entschieden, eine zugleich klassische wie moderne
Erzählpartie. Wer die restrikte, ländlich-kirchliche Bewertung und
liturgieverweigernde Praxis bei der Bewältigung der im Freitod Verschiedenen
kennt, kann ermessen, daß für unser Liebespaar nicht nur nicht, wie vorher
angedeutet, die so mit der Hilfbereitschaft der Kirche angebotsmäßig verknüpfte
"Totenbahre" benutzt würde, demgegenüber das Verscharren auf einem
Schindacker oder außen an der Mauer eines Friedhofs vorgesehen würde.
7. Sozialisation als Spiel und Übernahme späterer
Rollen, die in der Familie und in der Nachbarschaft vorgelebt werden
Textbeleg: "...das wenige Leben in dem dürftig
geformten Bilde erregte die menschliche Grausamkeit in den Kindern, und es
wurde beschlossen, das Haupt [der Puppe] zu begraben." (S. 10)
Ein brüchige
Verhaltensweise im Spiel der Nachbarskinder auf dem mittleren Acker fällt auf:
die rollenspezifische Aggression beim Zerstören von Spielmaterial.
Sali
vernichtet dort anleitend und ausführend einen symbolischen Tötungs- und
Beerdigungsakt, an dem das vier Jahre jüngere Vrenchen nachspielend teilnimmt:
Er zerrupft die Spielpuppe und versteckt unter Steinen. Hier können wir nicht
nur ein von Keller inszenierte Symbolik für die spätere Selbstzerstörung
miterleben, sondern müssen auch schon eine nicht völlig gelungene Sozialisation
als spielerische Bewältigung und als nicht erfolgten Aufbau zärtlichen und
schonenden, also liebevollen Umgangs mit Spielmaterialien festhalten; die
rituell fast exzessive Zerstörung ist ein exemplarisch ausgewiesener Akt der
nicht für Spiel und Liebesfähigkeit integrierten Übernahme elterlicher
Aggressionsmomente. Anders ausgedrückt: Man kann als Leser fragen: Woher haben
diese spielenden Kinder die zur Übernahme prägenden Vorbilder für ihren
Mutwillen, ihre zelebrierte Tötungssimulation, in der gefährlichen Umgebung der
Ambivalenz dieses wilden Paradieses mit seiner Symbolik der menschlich
erzeugten Unordnung? G.K. mutet uns hier eine Reflexion ob des textlich
zweiten, deutlich gesteigerten Todesmotivs zu, das als intuitiv-dichterische
Leistung vermerkt zu werden verdient; zur Akzentuierung setzt hier G.K.
moralisch-ernsthaft und prophetisch-kundig hinzu: "aber jeder Prophet
erweckt Schrecken und Undank" (S. 10/71). Wo und wie es zur Ausprägung von
vorgelebten und nicht verarbeiteten Aggressionen kam, erzählt G.K. nicht; aber
in der Leserperspektive kann man sich heutzutage schon fragen - in
nachfreudianischer Epoche, in der sozialpsychologische Einsichten in
Aggressionen und verhaltenstherapeutische Grundmodelle etwa zum Lehr-Standard
in Schulen und Familienberatungseinrichtungen gemacht werden.
Auch später
setzt der Erzähler die beiden Menschen in ihren moralischen Anschauungen in
etwa gleich, mit leichten Akzentuierungen der geschlechtsspezifischen Anteile:
"Jugend hat keine Tugend" (S. 66/120). Wenn das Sprichwort bei G.K.
hieße "Jugend hat noch [5]] keine Tugend", könnte
die Charakterisierung positiver erkannt werden. Es stimmt aber
entwicklungspsychologisch allemal, daß die zweite soziale Fixierung für junge,
heranwachsende Menschen, die in die Gesellschaft hinwachsen wollen und sollen,
Rollen-Chancen erhalten müssen, die sie (nach Freuds Definition) als
allmähliche, dreifache Integration zu bewältigen lernen: in die Arbeits-,
Lebenswelt und die Liebesfähigkeit als Erwachsene. In dem knappen Zeitraum der
letzten drei Tage im Leben des Pärchens sehen wir keinerlei soziale Hilfen oder
Angebote, ja sogar, Anfeindungen am letzten Sonntag durch junge Menschen, die
nach dem Kirchenbesuch nichts besseres zu wissen, als den all-gemeinen Druck einer sozialen Selektion
auszuüben (S. 73/127).
8. Weitere Strukturen: Formen sozialer
Diskriminierungen in sozialen Gruppen Familie und ihre gesellschaftliche
Weiterentwicklung
Textbeleg:
"Was aber die Verwilderung der Leidenschaften angeht..." (Aus dem
ausgeschiedenen Schluß [6]])
Keller thematisiert
diese Beziehungen und Bindungen in der Familie und innerhalb der Nachbarschaft
und damit die Ausgangspunkte eines familien- und existenzvernichtenden nicht in
theoretisch-soziologischer Beschreibung. Daß er sich aber dieser Verpflichungen
und Funktionen der familiären Absicherung als landläufiger Stand
psychologisch-volkstümlicher Reflexion bewußt ist, reflektiert er in einer
Passage, in der er die familiäre Entwicklung als ein organisches Wachstum
beschreibt. Sali ist in dieser Passage von Liebes- und Sinnesbindungen
innerhalb der erträumten Liebe zu Vreni gefesselt. In der aus dem Zusammenhang
entfernten Textvariante [7]]) werden die Sicherung der
Namen für die eigene Identität und die Entwicklung der Familie im
jahreszeitlichen Ablauf des Wachstums betont: in der Sache und der vom
Pfäfflein vollzogenen Taufe - "wohlversehen mit einem eigenen Namen, der
nicht tönt wie andere Namen" [8]] - in dieser Beziehung
"ruht das Geheimnis oder die Offenkunde von der Wohlfahrt des Lebens, von
dem Aufbau der Familie und dessen, was viele Familien zusammen sind." [9]]
Diese
organische Leistung von Liebe und familiäre Existenzgründung, gesichert durch
Nachbarschaft und Lebensgemeinschaft im Dorf, bricht ab, schwebt aber als
Glücksempfinden bei Sali ganz deutlich in seinen Liebesträumereien mit. Keller
verdeutlicht in der ausgeführten Bildlichkeit das Wachen, Blüten und
Fruchttragen unterschiedlicher Formen und verschiedener Möglichkeiten der Blüte
von Familien: vom alleinlebenden Menschen bis zur gedeihlichen Entwicklung in
"in großer Gesellschaft", die Keller als die organisch fruchtbarste
Gemeinschaft charakterisiert.
Welche
weiteren Funktionen werden erwähnt, bei denen familiäre Leistung und rechtliche
Verantwortung in gemeinschaftlichen Einrichtungen ineinander greifen? Im Text
erlesen wir die Anfänge der Institutionalisierung von außerhalb der Familie
eingerichteten Sozial- und Existenzsicherungen, wo für Menschen gesorgt bzw.
für Unglücksfälle vorgesorgt wird.
Für die
Krankenbetreuung, einschließlich der Arztkosten, muß Vrenchen allein
erhebliches Geld aufbringen; sie fastet dafür, sie hungert (S. 48/105);
Krankheit, Pflege, Kosten und Einbußen gelten damals als völlig private
Angelegenheit, als Pflichtleistung der Familie, die früher häufig als
Großfamilie strukturiert war gute und fast permanente Fürsorge bieten konnte.
Die erste, als öffentlich gekennzeichnete und für den Notfall eingerichtete
Sozialfürsorge wird in der Armen- und Irrenanstalt, in einer privaten Stiftung
in der Landeshauptstadt, geleistet. Belegt sind damit im Text die private
Krankenfürsorge, auch durch ärztliche Betreuung, und die Verbringung des als
"töricht" auffälligen, sozial nicht mehr tragbaren
Gesundheitszustandes und Benehmens von Vrenchens Vater durch ein öffentliches
Angebot.
Von den weiteren
möglichen Sozialfunktionen, die heutzutage in Absprache zwischen privaten
Bedürfnissen und öffentlichen Erfordernissen, ja als Inanspruchnahme gesetzlich
verbriefter Rechte aufgrund allgemeiner Sozialfürsorge gekennzeichnet wird,
sind folgende nicht funktionstüchtig in unserem Rechts- und Sozialfall nach
G.K.: Die heute selbstverständlichen und demokratisch legitimierten
Rechtsfunktionen, mit juristischen Sicherungs- oder Durchsetzungmöglichkeiten,
greifen nicht: Auf zwei Punkte möchte ich dazu verweisen: Der mittlere Acker
ist nicht nur als Anlaß für den später durch den Kauf offen ausgebrochenen
Streit als eines Verlustes rechtlicher und nachbarschaftlicher Bindungen
anzusehen. Zwei unrechtmäßige Momente in den Handlungen der beiden noch, so sagt man gern, rechtschaffen
und wacker ackernden Bauern zeugen schon von einem stattgefundenen Verlust der
Rechtssubstanz als Grundlage ihres Familien- und Arbeitslebens: Sie mißbrauchen
beide den zwischen ihren Äckern liegenden Streifen als Abwurffläche der zu
entsorgenden Steine; dies ist nicht nur eine unwichtige Bequemlichkeit, sondern
schon ein Verlust von rechtlicher Gleichheit; wäre nämlich der Acker
bewirtschaftet, eben weil schon durch Absprache oder rechtlichen Kauf in die
Verfügung eines der beiden Bauern übergangen, würde sich diese pragmatische,
aber unrechtmäßige Handlungsweise verboten haben als offener Bruch der
Eigentumsrechte. Auch die von beiden Seiten beobachtete und von beiden
praktizierte Aneignung als das furchenweise Anschneiden und Schmälern der
mittleren Fläche ist selbstverständlich begangenes Unrecht, über das sich beide
im Gefühl der Selbstgerechtigkeit aus "Familienehre" hinwegsetzen;
wobei sie das Unrecht verdrängen und leugnen. Selbst ein Knecht vermag das
weitergreifende, unrechtmäßige Vorgehen nicht einzusehen, hält es für Unrecht.
Als er demzufolge wie selbstverständlich widerspricht ("Wir sind ja
fertig!"), wird ihm rüde beschieden: "'Halt's Maul und tu, wie ich
dir sage'" (S. 11/72). Diese Abfuhr demonstriert hier einen Einschnitt in
die handlungsentwicklung: den selbstverständlichen, eigenwilligen und
eigennützigen Bruch der früher respektierten Rechtsgüter; es ist in seiner
Brutalität auch ebenso gegen den friedlichen Zustand der Natur.
Nun Weiteres
über Rechtsmomente und Schulgefühle, als der offene Streit ausgebrochen ist und
die zweite Generation der Familien selbstverständlich in den törichten Kampf
einbezogen werden:
Sali und
Vrenchen empfinden beide ein waches Schuldbewußtsein wegen Salis unberrschten
Schlags mit dem Stein, der bei Vrenchens Vater zur Hirnverletzung und zum
Irresein führt: Dieses Rechtsbewußtsein bleibt aber wegen der isolierten
Situation der beiden jungen Menschen rein privat, es führt nicht zu einer
öffentlichen Sanktion mit der Möglichkeit der Sühne; die beiden jungen Menschen
stehen außerhalb des öffentlichen, rechtlichen Schutzes für das Opfer durch die
Gesellschaft; als Belastung spielt das Schuldgefühl aber beim späteren
Selbstmordentschluß des Pärchens eine mitbeteiligte Rolle.
Zur
Sozialfürsorge allgemein ist folgendes zu sagen: Für die Betreuung elternlos
gewordener junger Menschen gibt es um 1850 keine Spielregeln wie wir es heute
im Jugendschutz, Jugendfürsorge, Waisengeld und Berufsberatung haben. Der
Waisenvogt bietet keine der Situation angemessene Hilfe: Sali und Vrenchen sind
völlig auf ihr unentwickeltes oder eingeschränktes Liebes- und
Fürsorgeverständnis verwiesen, sie sind in ihren eigenen Phantasiemöglichkeiten
für Kompensationen sind reduziert. Die Lebensplanung als "Magd und Knecht"
in untergeordneten Dienstleistungen weisen sie im Gespräch miteinander zurück,
weil sie die notwendige Trennung nicht erleiden wollen; ihre ja kindliche
Gemeinschaft in der Not versperrt ihnen mögliche Ausblicke auf oder nach Hilfe.
Im Vergleich
zu stärker strukturierten Sozialfürsorgesystemen (etwa in den modernen,
heutigen Gesellschaften) fehlen also die kirchliche Leistung der Personen- und
Standesbeurkundung, die Organisation von Leistungen und Pflichten, die
anläßlich der zerstörten Familiensituation, ebenso wie im Krankenfall des
Vaters, sowie im Todesfall und ebenso in öffentlicher Prophylaxe des Suizids,
nötig wären: Sozialarbeit und Erziehungsintentionen fehlen der Seldwyler
Gesellschaft, insbesondere der Kirche als Kommunität. Auch ist die Möglichkeit
einer ehelichen Verbindung wegen Fehlens einer materiellen Voraussetzung für
Eigenversorgung und zu erwartender Kindesernährung und -erziehung nicht
wahrscheinlich, rein kirchenamtlich gesehen.
9. Die außerfamilialen Bindungsmöglichkeiten
Textbeleg: "...da
braucht ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine Schriften, keine Ehre, kein Bett,
nichts als euern guten Willen!" (S. 80/133)
Wie steht es
um das Angebot des freien Lebensstiles für Sali und Vrenchen? Es gab keine
Legitimation einer außerhalb für Ehe und Kindfürsorge vereinten Zweierbindung,
statt dessen eine als natürlich verstandene soziale Ächtung. Der schwarze
Geiger bietet den Rückhalt innerhalb einer Gruppe asozial, d.h. kirchlich und
sozial bindungslos lebender Menschen (ähnlich einer modernen Sekte oder WG und
eines Single-Daseins mit temporärem, ohne langfristige Ansprüche autonom
praktiziertem Lebensstil).
Wir ersehen
aus dem Text einen außergesetzlichen, illegitimen, auch nicht
integrationsfähigen Versuch der Beeinflußung zu freier Hochzeit und einem
weitgehen vergnüglichen Unterkommen im Völkchen, in der "kleinen
Gesellschaft der Heimatlosen" (S. 82/134), also eine alternative
Möglichkeit der Integration des jungen Liebespaares durch das wandernde
Völkchen. G.K. charakterisiert den Versuch des Geigers als "in einem
aufrichtigen und gemütlichen Tone" (S. 80/133). Vrenchen aber lehnt diesen
Vorschlag ab wegen der Gefährdung der festen Liebesbindung an den Partner Sali.
10. Zur bürgerlichen Funktion der Familien- und
individuellen Personenehre
Textbeleg:
„und in beiden verlassenen Wesen war es die letzte Flamme der Ehre „; „...hatten noch die Ehre des Hauses
gesehen in zarten Kinderjahren...“ (S. 79/132)
Die
Jugendlichen Sali und Vrenchen sind ihrer sozialen und materiellen Stabilität
beraubt durch die Verarmung, die Streitsucht und die sich steigernde
Dissozialität ihrer Eltern; sie sind nicht vorbereitet (weder von den
Leistungen der Kirche, noch von den Hilfestellungen der Nachbarschaft oder der
dörflichen selbstverständlichen Fürsorge) auf ein Leben nach dem Verlust der
Bindungsfähigkeit ihrer Familien.
Es bleiben
lediglich die von Keller dokumentierten, ausführlich kritisierten öffentlichen
Meinungsäußerungen als Bekundung von Vorwürfen der Sittenverwilderung im Falle
des Freitodes des Liebespaares. Zum Problem der Sittenverwilderung contra der
Ursachendiagnose, wie sie uns G. K. anbietet in den erzählten Situationen und
erzählerischen Bedenken, ist hinsichtlich der Verstehensmethode, also wörtlich
des Zugangs, folgendes hervorzuheben:
Eine solche psychologische, soziologische und ergänzende religiöse Betrachtung
von Faktoren und Bedingungen halte ich für angemesser als ein wie folgendes
Abhaken angeblich der von Gottfried Keller intendierten Anklage aufgrund einer
Schuldsituation des Pärchens Sali und Vrenchen: Ich meine Klaus-Dieter Metz’ folgende, literatur-moralisch (wenn so ein Begriff zu bilden erlaubt sei)
Pauschal-Diagnose: "Beide, Väter und Kinder, scheitern letztlich an einer
falschen Vorstellung von Ehre im Sinn von Ansehen. Manz und Marti glauben,
durch Besitzvermehrung Ehre unter der Bauernschaft zu erwerben, Sali und
Vrenchen fürchten um den Verlust ihrer Ehre in der Dorfgemeinschaft, wenn sie
als (Mit-) Schuldige eine Ehe eingehen." [10]]
Hier wird
keine Ursachenanalysen durchgeführt, die uns Keller sie breit dargelegt hat
hinsichtlich vergangener Umstände für ehrenhaftes Verhalten in Ehe, Liebe und
sozialen Gruppen, sondern lediglich eine Symptomatik betrachtet, die nicht nach
Ursachen fragt.
Die Ehre der
"beiden verlassenen Wesen" (S. 79/132) wird von Keller recht genau
thematisiert; es war die "letzte Flamme der Ehre, die in früheren Zeiten
in ihren [Eltern-] Häusern geglüht hatte, als sie, eben diese Ehre zu äufnen
wähnend durch die Vermehrung ihres Eigentums, so gedankenlos sich das Gut eines
Verschollenen aneigneten..." (S. 79/132). Keller zieht hier vom
symptomatischen Einzelfall auf eine allgemeine Folgerung der Verletzung von
Ehre- und Tugendverhältnissen, die man als eine materialistische
Ursachen-Theorie von sozialen und politischen Entgleisungen und Verletzungen
von Menschenrechten mit ihren Folgen für Abweichungen, Streitigkeiten,
Machteingriffen, allgemein Kriminalität und in unserem literarischen Fall
insbesondere Selbstzerstörungen kennzeichnen kann.
Keller
charakterisiert somit das Lebensideal Ehre als die äußere Bedingung des Zusammenlebens, nicht
idealistisch-moralisch oder gar religiös, sondern als eine Folge des
Selbstverständnisses in Konkurrenz zu Rollenerwartungen, -anforderungen und
-zwängen, die durch materielle Verschiebungen und besitzstörendes Unrecht sich
leicht wandeln kann von dem "Schild der Ehre" zu einer "Tafel
der Schande" (S. 79/132).
Der schwarze
Geiger versucht ihnen das freie Leben des Hudelvölkchens schmackhaft zu machen
als ein bewußt unbürgerliches Treiben: "...da braucht ihr keinen Pfarrer,
kein Geld, keine Schriften, keine Ehre, kein Bett, nichts als euern guten
Willen" (S.81/133), ein Glücksversprechen, das Vrenchen nicht glauben,
nicht teilen mag; das bürgerliche Problem der Ehre ist allerdings nicht ihr
Kriterium.
Genauso als
Textintention verfehlt wie eine pauschale Ehren-Er- und Verklärung ist
die Schicksalstheorie (abgeleitet von Shakespeares Liebesdrama in Verona) des Herausgebers Konrad Nussbacher:
"Zwar trägt auch sie [unsere thematisierte Novelle] alle
charakteristischen Züge von Kellers realistischer, das Details liebevoll
erfassender Kleinmalerei; aber durch sie hindurch brechen Hintergründe auf, und
wie im Drama Shakespeares sind es elementare Mächte, von denen die Menschen ergriffen
und geschüttelt werden, fast ohne Wissen und Willen." [11]]
Und
schicksalsschwer und ergreifend-suggestiv wird noch ein Schüppchen
Lebensaufgabe des Interpreten, als Bedrohungs- und Erfüllungstheorie,
draufgelegt:
"Ins
schlicht Bäuerliche transponiert, aber nicht weniger echt und ergreifend
erscheint das tagische Verhängnis des Liebespaares zwischen den feindlichen
Vätern, die in schuldhafter, ins Dämonische wachsender Leidenschaft sich selbst
und ihre Familien zugrunde richten." [12]]
Was nun jener
"objektiv historisch" beschwerte oder schicksalsbewehrte Dichter
wirklich wollte, soweit der Verf. es zu eruieren hofft?
Erstens:
Keller sagt es schlicht, im Vorspruch zur Novelle: "auf einem wirklichen
Vorfall beruhend", "eine Fabel, wurzelnd im Menschenleben",
"auf welche die großen Werke gebaut sind." [13]]
Und zweitens,
mit den Worten des Verf.s: Keller skizziert sein psychosoziales und
philosophisches Verständnis in der Folge von Feuerbachs Philosphie als einen
epochalen, völligen geistigen Umbruch mit realen Folgen: Er betont die idealen
Lebensweisen konkret als die realen, wirklichen Umstrukturierungen innerhalb
dessen, was Feuerbach als den "positiven Atheismus" begründete;
Keller zieht daraus die naheliegenden Konsequenzen für seine prosaische Welt.
(Vgl. Kellers Brief vom 27.3.1851 an Wilhelm Baumgartner. [14]])
Einmal nennt
Keller das tragische Ende einen "schnöden Schluß, den er sicherlich jetzt
streichen würde, wenn das Büchlein irgend wieder einmal abgedruckt wird."
(Am 3.6.1856 an Berthold Auerbach). So verwarf er für seine Novelle den Schluß,
die von ihm so genannte "Degenparade gegen die Philister", in der er
von der "Flamme der kräftigen Empfindung und Leidenschaft" "im
niedern Volke" [15]] berichtet und sie gegen
unmoralische Dummheiten und Verdrehtheiten der Reichen verteidigt und gegen das
"gleichgültige Eingehen und Lösen von ‘Verhältnissen’ unter den gebildeten
Ständen", polemisiert. [16]].
Für den
Schluß sowohl, wie für die Intention der Novelle gilt Kellers glühendes
Bekenntnis zum neuen Atheismus mit seinen menschlich-neuen Positivismus:
"Nur für die Kunst und Poesie ist von nun an kein Heil mehr ohne
vollkommene geistige Freiheit und ganzes glühendes Erfassen der Natur ohne alle
Neben- und Hintergedanken, und ich bin fest überzeugt, daß kein Künstler mehr
eine Zukunft hat, der nicht ganz und ausschließlich sterblicher Mensch sein
will." (An Wilhelm Baumgartner vom 27.3.1851; zitiert nach Rilla [17]]). Das ganz und gar
ausschließlich "Sterbliche" ist nicht als das Bedrohliche durch den
Tod zu erkennen, sondern als Wissen und Geltenlassen der irdischen Bedingungen
des Menschen, der von Geburt bis zum Tode lebt und mit diesen Bedingungen
positiv fertig werden kann, d.h., daß er der irdischen Realität mit ihren
humanen Möglichkeiten positiv gegenüber steht. G. K.: "Die Welt ist mir
unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben ist wertvoller und intensiver,
der Tod ernster, bedenklicher und fordert mich nun erst mit aller Macht, meine
Aufgabe zu erfüllen und mein Bewußtsein zu reinigen und zu befriedigen, da ich
keine Aussicht habe, das Versäumte in irgend einem Winkel der Welt
nachzuholen." [18]]
So war,
dürfen wir folgern, die komplexe und
sinnliche Darstellung der den Freitod suchenden zwei jungen Menschen für Keller
eine "Befriedigung" des Bewußsteins [19]]; er gibt uns in einer
Dichtung ein Diskussionsmodell des Scheitern aus materiellen und sozialen, aus
emotionalen und rechtlichen, aus willentlichen und a- oder transreligiösen
Gründen; ein Modell, das, zur Gesamtintention formuliert, aufruft, solche
Bedingungen als zerstörerisch, als tödlich für Menschen in ihrem berechtigten
Freiheits- und Glücksverlangen zu kennzeichnen. Denn: "Wie trivial
erscheint mir gegenwärtig die Meinung, daß mit dem Aufgeben der sogenannten
religiösen Ideen alle Poesie und erhöhte Stimmung aus der Welt verschwinde! Im
Gegenteil!" Und ein letztes Denn
- ich hatte Kellers nächsten Satz hier schon vorausgeschickt: "Die Welt
ist mir unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben ist wertvoller und
intensiver, der Tod [20]] ernster, bedenklicher und
fordert mich nun erst mit aller Macht, meine Aufgabe zu erfüllen und mein
Bewußtsein zu reinigen und zu befriedigen, da ich keine Aussicht habe, das
Versäumte in irgend einem Winkel der Welt nachzuholen." (Rilla S. 193)
Keller hat
dazu dem Leser, am letzten Sonntagmorgen in Vrenchens Zuhause, in ihren
spaßigen, aber utopisch ernsthaften Erklärungen der Welt einen solchen Spiegel
des "unendlich schöneren und tieferen Lebens" gezeigt, das nicht
lediglich moralisch in "Gut" und "Böse", sondern inhaltlich
in möglichen, zu verändernden Kategorien sozialer Bedingungen beschreibbar ist.
Die Wandlungen, die familiensoziologisch als funktionale Veränderungen von der
vorindustriellen Großfamilie zur mittlerweile spätkapitalistischen Kern- (oder
gar schon heutigen als patchwork-System
etikettierten) Familie erfaßbar sind, hat Keller schon in Grundzügen ihrer
materiellen und patriarchalischen Bedrohung als für die betroffenen Individuen
selbst und ihre Angehörigen gefährlich vorfabuliert; wir können sie in der Erzählung
erkennen und gestaltend in sozialen oder politischen Kategorien als in unseren
Tagen zu verändernde mitbestimmen. Das Konzept des positiven Atheismus
Feuerbachs und Kellers mit seinen Chancen lebendiger und lebenswerter
Familienstrukturen, auch ihrer Veränderungen innerhalb des allgemeinen sozialen
Wandels, ist noch nicht ausgeschöpft, nicht zu Ende realisiert, solange
Menschen sich mit seinen (tragischen, aber auch idyllischen und märchenhaften)
Entwürfen ästhetisch und (im Feuerbachschen Sinne) positiv beschäftigen.
11. Das Patriarchalische und ungehemmt
Zerstörerische in den entstellten Familienstrukturen
Textbeleg:
Kellers Ursprungstraum zur Novelle: "Zwei staatliche, sonnengebrannte
Bauern pflügen mit starken Ochsen..." (Einleitung der Kernszene aus
Kellers Traumbuch, s. hier Anm. 30) Und Feuerbach: "Nun ist aber Gott
nichts Anderes, als das abgezogenen, phantastische, durch die Einbildungskraft
verselbständigte Wesen des Menschen und der Natur."
Wie nun
konnte eine charakterliche Fehlentscheidung, ein kleiner Fehler in der Selbst-
und Fremdwahrnehmung, eine im materiellen Streit begründete Feindschaft, ein im
Keime kleines Unrecht, solche gewaltigen, störenden und selbstzerstörerischen
Wirkungen entfalten, wie sie bei Keller, wie auch später bei Fontane und bei
Th. Mann oder in der Gegenwart bei Böll und Bernhard, beschrieben wurden?
Diese im
Normalfall segensreiche Entwicklung aus der zentralen Verfügungsmacht des
Mannes, des selbständig und selbstherrlich entscheidenden Regierenden heraus
kann eine Eskalation in Gang setzen, die Familien zerstört (und später, als ein
Führer und Heilsbringer Hitler, z.B. ein deutsches Volk in die
Selbstvernichtung führen wollte...).
Erklärbar
wird eine solche familiensoziologische oder gar kollektiv-historische
Entwicklung in äußerlich sonst geordneten und erfolgreichen, umgebenden
Sozialstrukturen damit, daß im "alten Oikos des Hauses" nicht "das Gefühl an der ersten
Stelle im familiären Wertsystem" [21]] stand; "stets hatte
es [das individuell gelebte Gefühl] sich dem Hausinteresse [A.R.] im verpflichtenden Sinne der wirtschaftenden
Gemeinschaft zu beugen. Das galt für alle individuellen Entscheidungen,
besonders für Ehepartner- und Berufswahl, bei denen sich Rationalität und
Sentimentalität im besten Falle vereinen konnten oder aber das Gefühl ganz
selbstverständlich zurücktreten mußte."
Ermöglicht
wurde diese Familienstruktur in ihren Chancen und ihrer Gefährdung (neben der Ableitung aus der politischen und
religiösen, übergeordneten Herrschaft) durch die patriarchalische Position des
allein auf seinem Grund und Boden mit seinen ganzen Kräften wirtschaftenden
Familienvaters.
Grundsätzliches
über die Zusammenhänge des Vaterbegriffes und seiner christlich-patriarchalen
Ideologie sei hier kurz als Frage angefügt: Welcher Gott gebot diese Gewalt,
dieses Blutstaufen, die Massaker, die Vernichtungsfeldzüge, hier bei
"Romeo und Julia auf dem Dorfe" die auslösenden, zerstörenden und
letztlich tödlichen Bewußtseins- und Unrechtsstrukturen in Namen der patriarchal
behaupteten Herrschaft, die sozial, juristisch oder gewaltmäßig massiv
behauptet? Es waren die Vernichtungsideen des im Sieg selbstherrlichen Gottes
der Altmänner- und Herrscherschaftsdarsteller von ihren eigenen Gnaden. Und
viel Gewalttat, inquisitorischer Selbstherrlichkeit der Wahrheitsprediger rührt
von der Unterdrückung sexueller Impulse her: ob nun homo- oder heterosexuell?
Kämpfer statt Liebende sind sie alle: im Blute anderer, zumindest in der
Geistesvernichtung. Deshalb findet man in der Kirche kaum ausgeprägte, durch
eine kulturelle und psychologisch gekennzeichnete Geistigkeit gekennzeichnete,
lebensoffene Identitäten, sondern Patriarchen: Schausteller des vermeintlichen
Gottes, Kolonisatoren sich unterordnender weiblicher und brüderlicher Barmherzigkeit.
Voltaires
Kritik an der herrschaftlich Gottesvorstellung des Christlichen hilft uns hier
aus dem Dilemma der Herrschaftlichkeit ohne Liebe und Einsicht: "Es steht
uns nicht an, Gott menschliche Eigenschaften zuzuschreiben und ihn uns nach
unserem Bilde vorzustellen. (...) Die Philosophie lehrt uns, daß diese Welt von
einem unbegreiflichen, ewigen und durch sich selbst betehnden Wesen
eingerichtet worden sein muß; aber, um es noch einmal zu betonen, sie sagt uns
nicht über die Eigenschaften dieses Wesens. Wir wissen zwar, was es nicht ist,
aber wir wissen nicht, was es ist. Für Gott gibt es kein Gut und kein Übel,
weder in physischer noch in moralischer Hinsicht." [22]]
Und zwei
Generationen später schrieb Ludwig Feuerbach seine Thesen auf, durch dessen Feuerbad
hindurch die moderne christliche Theologie m.E.s noch zu gehen hat, ehe sie
fähig wird, die Menschen dieser Welt wieder an sich zu ziehen, indem sie die
Menschen in ihr glückseliger machen, weil friedlicher, und friedfertiger, weil
im Glück erprobt:
"Nun ist
aber Gott nichts Anderes, als das abgezogenen, phantastische, durch die
Einbildungskraft verselbständigte Wesen des Menschen und der Natur; der
Theismus opfert daher das wirkliche Leben und Wesen der Dinge und Menschen
einem bloßen Gedanken- und Phantasiewesen auf. Der Atheismus dagegen opfert das
Gedanken- und Phantasiewesen dem wirklichen Leben und Wesen auf. Der Atheismus
ist daher positiv, bejahend; er gibt der Natur und der Menschheit die
Bedeutung, die Würde wieder, die ihr der Theismus genommen; er belebt die Natur
und Menschheit, welchen der Theismus die besten Kräfte ausgesogen. Gott ist
eifersüchtig auf die Natur, auf den Menschen, wie wir früher sahen; er allein
will verehrt, geliebt, bedient sein; er allein will Etwas, alles Andere soll
Nichts sein, d.h. der Theismus ist neidisch auf den Menschen und die Welt; er
gönnt ihnen nichts Gutes. Neid, Mißgunst, Eifersucht sind verneinende,
zerstörende Leidenschaften. Der Atheismus aber ist liberal, freigebig,
freisinnig; er gönnt jedem Wesen seinen Willen und sein Talent; er erfreut sich
von Herzen an der Schönheit: die Freude, die Liebe zerstören nicht, sondern
beleben, bejahen." [23]].
Die
Soziologin Weber-Kellermann erläutert zu den Allmachtsphantasien männlicher
"Natur": "Räumlich und geistig befanden sich die
Familienmitglieder gewissermaßen unter einem Dache. Das betrifft auch die
ältere Wortbedeutung von 'Vater', die ursprünglich im Zusammenhang mit
Vorstellungen von rechtlicher Ordnung und Rechtsvertretung steht. Zur
Bestimmung des älteren Vaterbegriffes reicht weder die biologische noch die
sentimale Seite aus. Gerade in der protestantischen Familie erfolgte durch den
Fortfall der priesterlichen Vermittlerrolle eine Stärkung der väterlichen
Autorität in der Familie - und von daher eine Übertragung auf die weltliche
Autorität überhaupt." [24]]
Die
Soziologin W.-K. setzt hinzu, daß die "Romanciers des 19.
Jahrhunderts" (sie benennt explizit Gottfried Keller mit seiner hier
thematisierten Novelle) "aus dem veränderten sentimental-individuellen Standpunkt
ihrer Epoche solche Konflikte in ihren für die Einzelperson oft tragischen
Aspekten geschildert" haben. [25]] Die sichtbaren Beispiele
und Begriffe von soziologisch-historischen Fakten, die sich bei Keller in und
zwischen den Zeilen zum Finden vorgeprägt finden, werden allerdings durch diese
Erklärung des "sentimental-individuellen Standpunktes" nicht erfaßt.
Die
Bestimmung und Begrifflichkeit der familialen Funktionen folgt einem
soziologischen Standard-Modell, um die Strukturen der Familie als Wandlungen
der Beziehungen, Bedingungen und Leistungen in dem familalen Modell zu
beschreiben.
Untersucht
man nun, warum und wie solche Wertvorstellungen und Strukturen entstehen, bzw.
sich wandeln, könnte man nach einer materialistisch-klassenkämpferischen Methode
hinter diesen Kräften die grundsätzlichen Mechanismen der bürgerlichen
Wertvorstellungen vermuten, die den Konflikt verursachen, leiten und zum
selbstzerstörerischen Ende treiben.
Auf diesen
Ansatz, wie ihn Gert Sautermeister 1973 veröffentlicht hat, möchte ich hier nur
abschließend hinweisen. Er begreift auch die gegenseitige, ausschließliche
Bindung der Liebenden bis in den Tod hinein als Folge der unerbittlichen
ökonomischen Bedingungen der privatkapitalistischen Verhältnisse:
"Weil
ihre Väter ihnen den 'guten Grund und Boden' zur Ehe entzogen haben, werden die
Besitzlosen fähig, ihr einziges Eigentum, Eros und Hingabe, uneingeschränkt
füreinander zu entfalten, aber auch genötigt, sich dieses Eigentum durch den
Tod gegenseitig zu sichern." [26]]. Diese grundlegenden
materialistischen Begriffe sind n.m.M. eine politische Wertung, die nicht alle
Veränderungen der Funktionen, alle Entscheidungen und Begründungen und
Willkürlichkeiten der Väter-Männer gegenüber den jungen Menschen innerhalb
ihrer familiären Konstellation und der Loslösung aus diesen Bedingungen
beschreiben kann; insbesondere kann eine solche literarische Wertung nicht das
Kunstwerk in seiner Einmaligkeit und in den von Keller reflektierten Grundzügen
und Intentionen innerhalb seiner Feuerbachschen Interpretation erfassen.
Aus vielen
Selbstzeugnissen G. K.s ergeben sich Begründungen für die hier vorgelegte
sozialpsychologische Interpretationsmöglichkeiten:
Im
"Tagebuch" (unter dem Datum vom 8. August 1843) formulierte G. K.
sein Dichtungsverständnis: "Die Propaganda irrt sich, wenn sie glaubt, die
Dichtkunst sei nur für die Tat, und zu politischen oder reformatorischen
Zwecken geschaffen. Der Dichter soll seine Stimme erheben für das Volk in
Bedrängnis und Not; aber nachher soll seine Kunst wieder der Blumengarten und
Erholungsplatz des Lebens sein." [27]]
Und:
"Die Wissenschaft soll endlich dem Volk helfen, in Tat übergehen. Wenn die
Philosophen ihre Resultate nicht populär machen, so werden die Pfaffen und
Finsterlinge schon Sorge tragen, dieselben dem Volke auf eine Art zu
übersetzen, welche in ihren Kram dient." [28]]
Zum Kern der
methodisch-analytischen Untersuchung zu dem Zentralkonflikt des Scheiterns
zweier junger Menschen schreibt Rudolf Kreis, der viel Material
zusammengestellt hat für eine historisch-soziologische Erschließung der
Novelle, "daß die Tragödie Romeos und Julias auf dem Dorfe aus der
Veränderung des bäuerlichen Bewußtseins hervorgeht, wie sie der mit der
Industrialisierung verbundene Liberalismus des 19. Jhrts. mit sich brachte"
[29]]
12. Die Zukunft des Verstehens und des familialen
Funktionswandels als Verstehensbereitschaft
Textbeleg:
„...und bin überzeugt, daß kein Künstler mehr eine Zukunft hat, der nicht ganz
und ausschließlich sterblicher Mensch sein will“ - auch um „mein Bewußtsein zu
reinigen und zu befriedigen...“ (G. K. an W. Baumgartner (27.3.1851)
G. K.s
Erzählung und seine philosophischen und anderen Selbstzeugnisse lassen eine
eindeutig monokausale, materialistische und Kapitalismus kritische
Interpretationsmethode nicht zu. Kellers Menschenbild und sein Verständnis von
sozialen Vorgängen ist umfassender, als es eine
Bennenung von eindimensional wirksamen Faktoren des Ökonomischen und seiner
Destruierung sozialer Pflichten und Mechanismen ist. So ist im Kerne das von
mir in den drei Momenten bei beiden Bauern angeknackste Rechtsempfinden (die
affektreiche Abstrafung der Seldwyler "Lumpenhunde", die
mißbräuchliche Nutzung des mittleren Ackers und das als selbstverständlich
praktizierte Aneigenen fremden Besitzes, also nach Keller das
konfliktauslösende Zusammentreffen "zweier solcher Äufner ihrer Hausehre
und ihres Gutes" (S. 79; erinnert sei an die neutestamentliche Warnung vor
den Einbrechern und vor den Häuffnern [30]]), nicht auf die
behauptete, alles entscheidende Industrialisierung als die schon in Kellers
Lebenswelt zu beobachtende, kapitalistisch genährte Umstrukturierung und auf
den zerstörerischen Wandel von Familienstrukturen zurückzuführen; die Deutung
bedarf ergänzender soziologischer, religionskritischer und psychologischer,
psychoanalytischer Momente (z.B. für die lebensbedrohlichen Auswirkungen der
Vaterfiguren). Das von Manz und Marti zwar gegeneinander, aber gemeinschaftlich
und wissentlich begangene Unrecht des Aneignens wird erst der Auslöser der nachbarschaftlichen
Entzweiung und der Zerstörung zweier Familien und Ursache des Todes zweier
Liebender, nachdem die Besitzverhältnisse (Kauf des Ackers durch Manz) diese
Rechtsbeugung für die gesellschaftlichen Instanzen als offenbares, rechtliches
Vergehen ausweisen und es zu einer Befriedung und juristischen Lösung durch
viele miteinander eskalierende Personen und Faktoren nicht kommt. Die Familienstrukturen als Stabilisatoren der
gewachsenen und sich steuernden Rechts- und Sozialgemeinschaft waren (auch in
ihrer religiösen Fundierung) nicht stark genug, um eine solche
dissozialisierende Entzweiung, begleitet von materieller Ruinierung und
juristischer Possenreißerei, zu verhindern.
Ich habe hier
"nur" versucht, eine soziologisch-deskriptive Interpretation in der Sphäre anzusiedeln, die Keller, so
verstehe ich sie, die ästhetische und politische "Zukunft" nannte;
ich sehe mich dazu methodisch berechtigt und ich übernehme hier (auch gegen
alle philologische Bescheidenheit ein Zitat des Dichters für mich) und bin
überzeugt, daß auch kein Interpret eines Kunstwerks wie des hier vorliegenden,
so möchte ich abschließen, nicht nur der Künstler (wie Keller es forderte),
"mehr eine Zukunft hat, der nicht ganz und ausschließlich sterblicher
Mensch sein will" - auch um (wie schon zitiert) "mein Bewußtsein zu
reinigen und zu befriedigen"; ich verstehe es als ein Befrieden des
Bewußtseins, eine Katharsis im klassischen Sinne als Bewältigung meiner/seiner
Aggressionen: So sei, hoffe ich, "kein Heil mehr ohne vollkommene geistige
Freiheit und ganzes glühendes Erfassen der Natur..."; ausgedrückt und
ausgedruckt fast anderthalb Jahrhunderte nach Kellers Brief und Novelle.
Der
Zusammenhang von Ehre und Schande "in einer bürgerlichen Welt" (S.
79), deren "letzte Flamme" die Väter "durch einen unscheinbaren
Mißgriff" "ausgeblasen und zerstört" hatten; diese Ehrbegriffe
nun, denen Sali und Vrenchen eine so tödliche Macht einräumten, werden
aufgehoben durch ein anscheinend "ganz gefahrlose" des Mehrung des
Eigentums, ob in "niedersten Hütten" oder bei den "Mehrern des
Reiches" (S. 79/132); diese bürgerliche Ehre und die Schande als ihr
Gegenteil sind für G.K. und auch für spätere Autoren (wie auch für ihre Leser)
ein stark wirksames Thema für Dichtungen und eine geistig herausfordernde
Vorlage für sozial deskriptische, ja, auch gesellschaftskritische Bemühungen in
ihrer Wirkungsgeschichte. Beide Methoden, der Fiktion und die
begrifflich-expositorische, historisch-logische Fixierung, bestehen neben-,
mit- und gegeneinander, solange Menschen ihre ästhetischen und materiell
wirksamen, willentlichen Potentiale freisetzen, im kritischen Falle auch
zerstörerisch ausleben.
Die der
Unehre beide Bauernpatriarchen Manz und Marti zugrunde liegenden Mechanismen
hat G.K. in drei Details ausgewiesen, die beide als problematisch kennen, aber
für sich auszunutzen versuchen: Es sind erstens die sozial-diskrimierende
Ausgrenzung des Hudelvölkchens (und mit ihm auch die Verachtung gegenüber dem
Sohn des früheren Besitzers des zwischen ihnen und in ihrer bäuerlichen
Konkurrenz stehenden, mittleren Landstreifens) und zweitens die soziales und
materielles Unrecht erzeugende Leistungsdifferenz der Kirche, die den
standesmäßig-urkundlichen Nachweis verweigert, nicht nur der Taufe, sondern der
Verfügungsmöglichkeit des schwarzen Geigers über sein ländlichen Erbgut; eine
von Manz und Marti kalkulierte soziale Fehlfunktion, die von G.K. kritisiert
wird als zu Lasten der Kirche gehend, als eine Funktion, die keine sozial
friedenssichernde und rechtgewährende Unterstützung mehr leistet; sie nicht
leisten kann. Diese kirchlich-soziale Fehlleistung, als Verweigerung des den
legitimen Stand beurkundenden und ins Recht setzenden Zeugnisses wird von den
beiden Bauern ausgenutzt. Ein dritter Affekt wird schon zu Beginn der Arbeitspause
von Manz geäußert: „Die Lumpenhunde zu Seldwyl kochen wieder gut!“ (S. 6/67)
Dieser eigenartige Affront eines doch reichen Bauern gegenüber einer ganzen
Stadt in ihren mittäglich gesitteten, weil gesättigten Prototypen zeigt eine
Unzufriedenheit, die neben den anderen Unmutsäußerungen eine Störung in der
ansonsten friedlich und gutgestimmt gezeichneten Exposition mit den beiden
Bauern ausweist, die äußerlich noch als eine Einheit von Lebensbedingungen,
arbeitenden Menschen und Tieren und dem geleisteten bzw. zu leistenden
Arbeitsprodukt gilt. [31]]
Die sozial
ungerechtfertigten Diskriminierungen (der Seldwyler und des schwarzen Geigers
durch die Bauern) und die vorenthaltende Legitimation des Erbes (durch das als
Vorwand benutzte kirchliche Amt) - alle Äußerungen sind von G.K. in einer
außerordentlich fein abgestimmten erzählerischen Erörterung gesellschaftlicher
Fehlfunktionen erfaßt, deren Störungen Motor einer fiktiv gestalteten Dynamik
sind, die uns auch noch heute entsetzt, wenn wir über das Künstlerische hinaus
die von ihr erfaßten Personen und Familien auf soziale Funktionen und
Strukturen und ihre Brüche hin befragen. Kellers erzählerisches, realistisches
Modell kann nicht veralten, solange sich Menschen für Ursachen, Anlässe und
Folgen von humanen Beziehungen als Möglichkeiten und Fehlfunktionen
interessieren, unabhängig von Beschreibungssystemen und sogenannten, immer
wieder vom Zeitgeist durchsetzten wissenschaftlichen Lehrmeinungen.
Für die
methodische Reflexion dieses Erzähl- und historischen Falles möchte ich noch
folgenden interpretatorischen Generalanspruch als Abgrenzung zu meinem
ausschnitthaften, soziologischen Ansatz in Konkurrenz hinzusetzen: In der
Novelle "wird (...) der objektive sozialgeschichtliche Wandel in seinen Rückwirkungen
auf die Subjektivität und Innerlichkeit der Personen dargestellt.“ (Bernd
Neumann als Quintessenz seines Text-Verständnisses, in der Gesamtausgabe der
Seldwyla-Novellen [32]]). Nein - ganz subjektiv,
mit relativem Anspruch auf Wahrheit oder Weisheit - keine Deutung kann einen objektiven
Anspruch erheben, keine
Interpretation ist die einzige und für immer wahre. Es gibt verschiedene,
legitime oder illegitime Ansätze; es gibt individuelle oder auch kollektive
Interessen; ihren Nachweis, ihren reflektierten Ausweis müßte jeder leisten,
wer Literatur in ihren Entstehungszusammenhängen und Wirkungsbelegen aufhellen
und diskutieren lassen möchte.
Textbeleg: „ es war ein schöner Sonntagsmorgen im September...“ (.../118)
„...und von allen Seiten tönten die Kirchenglocken herüber, hier das harmonische tiefe Geläute einer reichen Ortschaft, dort die geschwätzigen zwei Bimmelglöcklein eines kleinen armen Dörfchens.“
In dieser kirchlich-sonntäglich geprägten Umgebung ist ein Paar an einem Sonntagmorgen unterwegs, das seine totale soziale Isolation erlebt, das keiner Verbindung mehr bedarf, sich nach keiner „ehrenhaften“ Struktur und Bindung mehr sehnt, „das sich einzig der hoch aufatmenden wortlosen Freude hin[gab]“ (.../119) Die unterschiedlichen materiellen Strukturen der Verhältnisse in den die Dörfer repräsentierenden Klängen sind hörbar; sie teilen sich mit als Selbstverständlichkeit. Aber nicht in dem verpflichtenden Sinne, daß ein sich isolierendes und singuläres Liebespaar daran Anteil, gar Nutzen oder Betreuung nehmen könnte oder dürfte. Es ist ein melodiöser Klang, der keine Verbindlichkeit garantiert; es ist Kirchendienst, der sich kundtut als musikalisches Spiel, ohne zu Kommunikation aufzurufen oder Gemeinschaft zu verpflichten.[33]
Statt einer alten oder neuen Gemeinschaftsidee der Glockenbedeutung erleben wir Kellers positiv-anthropologische, kommunikativ-psychologische Funktion, in die die „zwei Glücklichen“ „in den Sonntag“ hineinzuwallen“ (.../119) vermögen: „Jeder in der Sonntagsstille verhallende Ton oder ferne Ruf klang ihnen erschütternd durch die Seele; denn die Liebe ist eine Glocke, welche das Entlegenste und Gleichgültigste wiedertönen läßt und in eine besondere Musik verwandelt.“ (.../119)
Statt der Gemeinschaftsidee Kirche mit ihren Symbolen, Aussagen und Angeboten realisiert sich hier das Geschehen als eine Liebe der Geschlechter, auch in isolierter Situation und Gefährdung. Sie vollziehen später in der Nacht, in der Stille der Einsamkeit in dieser Landschaft, in dieser Sozietät, dieser Gemeinschaft ein Trauung „ohne den Befehl eines Willens“ (..../137) - Die Öffentlichkeit deklariert später, nach Auffindung des Heuschiffes und der Leichen die „verzweifelte und gottverlassene Hochzeit“ der Außenseiter – und enthält sich einer christlichen Scham, einer sozialen Analyse, einer erkennenden Aufarbeitung des Unglücks zweier Unschuldiger.
**
Arbeitsblatt:
Strukturwandel
in den Funktionen und Leistungen der Familie im westlichen, christlich und
patriarchalisch geprägten Abendland:
A: in vorindustriellen Gesellschaften:
(meist als Großfamilie strukturiert, nach dem
Mehrgenerationenprinzip organisiert):
Abhängigkeit
im politischen und moralischen Sinn von Kaiser (König), Kirche (Papst ..
Pfarrherrn) und Leibherrn
Produktion der
Erziehung als Einübung
Lebensmittel
in Pflichten, Rechte und
des Feiern und der
Erholung
direkte, abhängige
rollen- u. status- u. standemäßig
fixierte Kommunikation,
alters- u. geschlechtsspezif. Prägung
unbekümmerte Regeneration
biol. Reproduktion der Arbeitkraft
berufl. Integration als
handwerkliche Ausbildung,
zumeist im väterlichen Beruf
politische Normierung soziale Absicherung für
durch Eingliederung Krankheit, Alter und Tod
in die Abhängigkeit
= absolute,
zwangsmäßige Integration als Übernahme in die
bestehenden
Normierungen (sonst Ausschluß aus der Gemeinschaft)
Vermittelnde,
ausgleichende Instanzen nach indiv. Maßgabe: Nachbarschaft, (Kirchen-)Gemeinde,
Zünfte, Burschenschaften
B: IN DER
INDUSTRIELLEN GESELLSCHAFT:
(Tendenz zur
Kleinfamilie):
sekundäre Sozialisation:
Kindergarten, Schule, berufl. Ausbildung
Strafe, Kontrolle:
Rechtssprechung:
D. Polizei, d. Schiedsmann, durch Gerichte
verbliebene Funktion als Kern der Familie:
materielle Versorgung, primäre Erziehung;
Vermittlung des Urvertrauens
der Spiel- u. Liebesfähigkeit
Verhaltenssicherungen religiöse Erziehung
d. Polizei, Regeln im Straßenverkehr (Kirche)
Bünde, Gruppen, Freundschaftscliquen,
Jahrgangsgruppen
Ausbildung in der Produktion kult. Erziehung
(in Betrieben, Ausbildungsstätten) (Schule, Verein, Sekten,
durch Medieneinflüsse)
Politik:
d. Parteien, Gewerkschaften
(d. freiwillige Teilnahme)
Regelung wichtiger mediz. und soziale Sicherung/
neuer Belange: Hilfen u. Versorgung:
d. Bürgerinitiativen, d. Rentensystem, Versicherungen
Selbsthilfegruppen neu: Pflegeversicherung
sozialpäd. Hilfen: überindiv. Sicherungen:
Jugendamt, Verwaltung, Behörden,
Jugendgerichtshilfe Hilfsinstitutionen,
soziale Beratungen
= kollekt.
(teils gegenläufige) Tendenzen zur Individualisierung, Vermassung, häufige
Isolation, formaler Kommunikation, einer starken Funktionalisierung und
Rationalisierung in fast allen verfügbaren Abläufen oder Vorgängen,
Demokratisierung, Durchsetzen von Chancen und rechtlichen Unterstützungen; z.
Zt. wieder stärkere geschlechtsspezif. Tendenzen, teils als Ersatz oder
Ausgleich von Emanzipationsbewegungen
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Arbeitsblatt:
Funktionswandel
in den Strukturen und Leistungen der Familie im westlichen, christlich und
patriarchalisch geprägten Abendland:
in vorindustriellen Gesellschaften:
(meist als
Großfamilie)
Abhängigkeit
im politischen und moralischen Sinn von Kaiser (König), Kirche (Papst,
Bischof,... Pfarrherrn, überwachende Dorfgeistlichkeit) und Leibherrn
Produktion der Erziehung als Einübung
Lebensmittel in Pflichten, Rechte und
des Feiern und der Erholung
unbekümmerte
biol. Reproduktion
direkte, abhängige
rollen- u. status- u. standemäßig
fixierte Kommunikation,
alters- u. geschlechtsspezif. Prägung
Regeneration
der Arbeitkraft berufl. Integration als
handwerkliche Ausbildung,
zumeist im väterlichen Beruf
politische Normierung soziale Absicherung für
durch Eingliederung Krankheit, Alter und Tod
in die Abhängigkeit
= absolute,
zwangsmäßige Integration als Übernahme in die
bestehenden
Normierungen
Vermittelnde,
ausgleichende Instanzen: Nachbarschaft, Kirchengemeinde, Zünfte, Burschenschaften
IN DER
INDUSTRIELLEN GESELLSCHAFT:
(Tendenz zur
Kleinfamilie):
sekundäre Sozialisation:
Kindergarten, Schule,
berufl.
Strafe,
Kontrolle:
Rechtssprechung:
d.
Schiedsmann, durch Gerichte
verbliebener Kern der Familie:
materielle Versorgung, primäre Erziehung;
Vermittlung
des Urvertrauens, der Sozialkompetenz,
der Spiel- u. Liebesfähigkeit
Verhaltenssicherungen religiöse Erziehung
(Kirche)
d. Polizei,
Regeln im Straßenverkehr
Bünde,
Gruppen, Freundschaftscliquen,
Jahrgangsgruppen
Ausbildung in
der Produktion kult.
Erziehung
(in
Betrieben, Ausbildungs
stätten;
Schule, Verein, Sekten,
große
Lernfortschritte bzw. Wahrnehmungsstörungen durch Medieneinflüsse
Politik:
Parteien,
Gewerkschaften,
Regelung
wichtiger Belange: mediz. und
soziale Sicherung/
Bürgerinitiativen, Hilfen u. Versorgung:
Selbsthilfegruppen d. Rentensystem, Versicherungen
neu: Pflegeversicherung
sozialpäd.
Hilfen: überindiv.
Sicherungen:
Jugendamt,
Jugendgerichtshilfe, Verwaltung,
Behörden,
Hilfsinstitutionen,
soziale Beratungen,
= kollekt.
Tendenzen zur Individualisierung, Vermassung, häufige Isolation, formaler
Kommunikation, einer starken Funktionalisierung und Rationalisierung in fast
allen verfügbaren Abläufen oder Vorgängen, Demokratisierung, Durchsetzen von
Chancen und rechtlichen Unterstützungen; z. Zt. wieder stärkere
geschlechtsspezif. Tendenzen, teils als Ersatz oder Ausgleich von
Emanzipationsbewegungen
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Hinweise für
das Arbeitsblatt:
Aufgabe:
Nimm
selbständig Stellung zu den sozialen Strukturen und Aufgaben der Familie in
unserer von der sozialen Marktwirtschaft geprägten Gesellschaft, in dem Du Dich
mit folgender Theorie auseinandersetzt: Von Friedrich Engels stammt diese
Auffassung über die bürgerliche Familie; er schrieb (1884): „Erst durch die
Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln durch die
sozialistische Revolution und den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus
verschwindet die ganze Vererbungsorge und damit auch die eigentliche speziell
ökonomisch-soziale Ursache der Familie.“
(Mit „Vererbungssorge“ meinte Engels das
Besitzdenken, die entsprechende Gattenwahl und die Erziehung der Kinder im
Hinblick auf die erworbenen materiellen Güter, die vom Familienoberhaupt
optimal vererbt werden müssen. Beachte bei dieser Diskussionsaufgabe die
historische Entwicklung des Marxismus, die sich gerade in unseren Tagen zeigt!
[1]] Vgl.
H. Doer und G.W. Schneider: Soziologische Bausteine. Bochum 1976: Verlag
Brockmeyer. S. 95.
[2]] Die
eingefügten Angaben der Zitate bedeuten in der ersten Seitenzahl nach der
Reclam-Einzeltextausgabe (Stuttgart 1983. RUB 6172). Die 2. Seitenzahl bezieht
sich auf die Geamtausgabe der "Leute von Seldwyla". (Stuttgart 1998.
RUB 6179).
[3] Zur
besonderen Erörterung des sonntäglichen Pflichtprogrammes aller Gotteskinder im
christlich-religiösen Umfeld der Seldwyler Gesellschaft vgl. hier...
[4]] Die
aus den Elternhäusern und von ihren Familien "verlassenen Wesen"
haben symbolisch und materialiter einen rührend-liebevollen Ersatz für ihre Haus-und Heimatlosigkeit Sorge getragen;
in ihrem Spiel wird ihre konkrete Not nur überdeckt: Liebende, suchende Kinder
sind sie: Sali schenkt seiner Geliebten einen rührend-gutgemeinten Ersatz, ein
Lebkuchenhäuschen, das smit einem volksliedhaften Sprüch verziert ist und ihr
Not zum gesteigerten Ausdruck kommt:
"Tritt
ein in mein Haus, o Liebste!" (S. 71/125)
Die ergreifende Metaphorik des Suchens
der "verlassenen Wesen" nach einem Haus, einem Unterkommen, einer
Lebensmöglichkeit bestimmt neben anderen, im üblichen religiösen Sinn scheiternden
und naturnahen Elementen den weiteren Lebensweg des Pärchens für den einen und
gleichzeitig letzten Tag der Liebe, einer Verzweiflung zu zweit.
[5]] So
stellt Jürgen Hein (in den "Erläuterungen" S. 14f.) die
sprichwörtliche Botschaft dieser Redensart dar; die Erklärung betont dann also
die noch nicht erfolgte Übernahme von Spielregeln ("Tugenden") der
Erwachsenen in der Phase der Adosleszenz; die übrigens für Sali und Vrenchen
keinen eigenen Bewältigungsspielraum nach
der Pubertät darstellt, sondern mit ihr gleichzeitig bewältigt werden muß -
eine entwicklungspsychologische Überforderung, wie es G.K. auch intuitiv
gespürt haben; vgl. die Kennzeichnung des sexuell gespürten, nicht mehr
emotional-willentlich gesteuerten "Brautwesens im Blut" (S. 81/134).
[6]] Die
Textpasage nach "Erläuterungen und Dokumente" zu "Gottfried
Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe". Hrsg. v. Jürgen Hein. Stuttgart
1984: RUB 8114.S. 21).
[7]] Nach
der Reclamausgabe einzufügen auf S. 34, ab Z. 25.; Text nach Erläuterungen S.
20.
[8]]
Reclamausgabe S. 34/92.
[9]]
Reclams "Erläuterungen", S. 20. G.K. fährt in der naturgebundenen
Reifungs-Metaphorik fort, in einem reflektierenden Ton, dessen es sich
ansonsten in der Novelle enthält: "Es ist die Frühlingblüte, aus welcher
die Frucht der guten Familie erwächst..." (Vielleicht ist der
räsonnierende Ton der Grund für die Aussonderung der kleinen Passage.)
[10]]
Klaus-Dieter Metz: Gottfried Keller. Literaturwissen für Schule und Studium.
Stuttgart 1995: RUB 15205. S. 43.
[11]]
Konrad Nussbacher als Herausgeber der Reclam-Einzelausgabe der Novelle im
Nachwort (S. 94); lt. Copyright-Vermerk stammt es aus dem Jahre 1949.
[12]]
Ibid.
[13]]
Textausgabe (S. 3/65)
[14]]
G.K.: Romeo und Julia auf dem Dorfe. Mit Materialien. Ausgewählt und
eingeleitet von Peter Haida. Stuttgart 1980: Klett-Editionen. S. 92.
[=Klett-Erläuterungen]
[15]] In
der verworfenen Schlußpassage. In: Reclams Erläuterungen. S. 21.
[16]]
Reclam-Erläuterungen S. 21.
[17]] Über
Gottfried Keller. Hrsg. v. Paul Rilla. Zürich 1978: detebe 20535. S. 194.
[18]] Rilla
S. 193.
[19]] Von
denen G.K. Vrenchen immer konsequent als das Mädchen und mit dem Personalpronomen "es" hat sprechen
und handeln lassen.
[20]] Als
weiterer Verweis auf die von G.K. entkrampfte Todes-Motivik gerade in
"R.u.J.a.d.D.".
[21]] Nach
einer Formulierung Ingeborg Weber-Kellermanns in: Die deutsche Familie. Versuch
einer Sozialgeschichte. Frankfurt/M. 1977: st 185. S. 79.
[22]]
Zitiert nach H.-Ludwig Freese (Hrsg.): Gedankenreisen. Philosophische Texte für
Jugendliche und Neugierige. Reinbek/Hamburg 1990: rororo 8754. S. 291f.
[23]] L.F.
Sämtliche Werke. Bd. 8. Stuttgart 1960. S. 357; zitiert nach
Klett-Erläuterungen. S. 91f.
[24]]
Ibid, S. 79f.
[25]]
Ibid, S. 79.
[26]] G.
Sautermeister. In: G.K.: Romeo und Julia auf dem Dorfe. Mit Materialien.
Ausgewählt und eingeleitet von Peter Haida. Stuttgart 1980: Klett-Editionen. S.
116 - 118; hier S. 117.
[27]]
G.K.: Aufsätze, Dramen, Tagebücher. Werke Bd. 7. Hrsg. v. Dominik Müller.
Frankfurt/M. 1996: Deutscher Klassiker Verlag. S. 653.
[28]]
Ibid. Die Religionsthematik bei G.K. - als Abkehr und Neubestimmung gegenüber
einem Göttlichen, vor und nach dem Studium der Feuerbachschen Lehre - verdient
nicht nur höchste Beachtung, wie in diesem Aufsatz schon passim versucht,
sondern eine eigene Behandlung. Vgl. den Einleitungssatz zu "Ursula":
"Wenn die Religionen sich wenden....." In: G.K.: Züricher Novellen.
Stuttgart 1989: RUB 6180. S. 298.
[29]]
Rudolf Kreis (Hrsg.): G.K.: Romeo und Julia auf dem Dorfe. Primärtext und
Materialien zur historisch-soziologischen Erschließung. Frankfurt 1974. S. 6.
[30]]
"Häufet keine Schätze an auf Erden, wo Motte und Rost verzehren, wo Diebe
einbrechen und stehlen. Häufet euch vielmehr Schätze im Himmel an, wo weder
Rost noch Motte zehren, noch Diebe einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz
ist, ist auch dein Herz." (Mt 6,19f.)
[31]] Wer
die dominierende Bildszene der Einleitung aus dem Traumbuch Kellers nachliest,
hat noch einen deutlicheren Eindruck von dieser klassisch gefügten Harmonie der
Ausgangshandlung. Vgl. das "Traumbuch"-Notat mit den letzten Sätzen:
Die beiden Bauern "führen dabei mit fester Hand den Pflug und tun, jeder,
als ob er den Frevel des Anderen nicht bemerkte. Die Sonne steht einsam und
heiß am Himmel"; abgedruckt in: G.K. Aufsätze, Dramen, Tagebücher. Werke
Bd. 7. Hrsg. v. Dominik Müller. Frankfurt/M. 1996: Deutscher Klassiker Verlag.
S. 674f.
[32]] B.N.
in: G. K. Die Leute von Seldwyla. RUB 6179. S. 657.
[33] Auf
die Glockenforschung des Franzosen Alain Corbin sei kurz verwiesen: „Die
Agrarier, Apostel des kleinen Vaterlandes und der Rückkehr zur Scholle, wie
auch die Regionalisten sahen im Lobpreis des Kirchturm die Gelegenheit zu
bequemer Überhöhung. ‚Hört den Klang der Glocken, die auch wieder von den
heroischen Taten unserer Väter künden‘, rät der Glockenkundler Henri Jadart;
‚lesen wir auf dem heiligen Erz wieder die Namen jener, die uns vorangingen und
deren freudiges Echo nun in unseren Ohren widerhallt.‘“ A.C.: Die Sprache der
Glocken. Frankfurt/M. 1995. S. 400- Für die Seldwyler Verhältnisse sind die
Glockentürme als dogmatischer oder auch politischer Ausdruck der
Kirchengemeinden oder Sozietäten nicht präsent. Sie läuten lediglich im Blau
des Himmels, im naturhaften „Dom“ der Landschaften und Ideen. – Corbin stellt
für die zweite Hälfte des 19. Jhs. eine Dechristianisierung fest und nennt folgende
Faktoren: „Die Entzauberung der Welt, die Desakralisierung des Lebens und der
Umwelt haben das Hören der Glocke in Mißkredit gebracht. Die Glocke hat
allmählich aufgehört, Zeichen, Vorbedeutung, Talisman zu sein.“ Corbin nenntn
als literarischen Basis zwei Autoren, einmal Zola, der in „Réve“ „mit
Genauigkeit die Skala der Empfindungen und Gefühle, die das Getöse des Läutens
auslöset: die Erwartung de göttlichen Opfers, das Erbeben des Hauses (...)vom
Schwingen der großen Glocke der Kathedrale von Bourges, die kollektive Freude,
die Lobpreisung und den Aufstieg Augustines beim himmlischen ruf des Engels,
der auch der der Hochzeitsglocke war. Doch die Analyse ist hier distanziert,
wie ein klinischer Befund. Die emotionale Gewalt der Glocke ist nackt und bloß,
desakralisiert, nur noch traumerzeugend; sie hat etwas mit der Halluzination
gemeinsam. Die religiöse Symbolik ist gewissermaßen in ihre Gegenteil
verkehrt.“ (S. 412) . Die Säkularisierung ist weit fortgeschritten, Keller hat
eine Alternative zu diesem Verlust aufgezeigt: Ein humanistisches Programm, das
mit den individuellen, ethischen Möglichkeiten des befreiten Menschen einen Weg
aufzeigt, der allerdings immer wieder von Gefährdungen und Irrwegen im
Alltäglichen, gar im Sonntäglichen durchleben muß.
Eine ganz andere, perdide Methode der Erzeugung von Gefühlen, nationalem Pathos und Mord- und Todesbereitschaft, Droben in den Tauern hängen seltsame Glokken auf Bergeshöh'! Von keines Menschen Hand werden sie geläutet. Still und stumm hängen sie im Sonnenschein. Aber wenn der Sturmwind kommt, dann beginnen sie zu schwingen, heben an zu läuten, und ihre Glockenklänge hört man weit hinab ins Tal.
Gott der Herr hat in jedes Menschenherz die Gebetsglocke hineingehängt. Doch im Sonnenschein und Glück des Lebens, wie oft hängt sie still und stumm! Wenn aber der Sturmwind der Not hervorbricht, dann hebt sie an zu klingen. Wie mancher Kamerad, der das Beten verlernt, wird drüben im Kampf auf Leben und Tod doch wieder die Hände falten. Not lehrt beten! So soll es auch in der Heimat sein. Laßt die ernsten Tage, die angebrochen, laßt die Kriegeswetter, die über uns heraufgezogen, die Gebetsglocken wieder in Schwingung setzen! Laßt uns beten für unsere kämpfenden Brüder! Nicht nur dann und wann in festlicher Stunde, nein, nein, laßt uns treu sein im Gebet! Wie unsere Väter einst in Kriegszeiten an jedem Abend die Glocken läuteten und bei ihren Klängen die Häupter entblößten und beteten: „Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ, weil es nun Abend worden ist!“
(Wilhelm II.:Reden des Kaisers. Hrsg. v. Ernst Johann. München 1977. Dtv 2906. S. 95)