Balten-Porträts:

HELLMUTH KRÜGER (1890 - 1955)

Zur Einstimmung auf einen seltenen Einzelfall ein fast vergessener Text:

Hellmuth Krüger:

Der Bücherkarren

Ich baue meinen Karren um, weil ich so langsam spüre,

der Felix Dahn kriegt Publikum, nach rechts geht die Lektüre.

Den Emil Ludwig stell ich weg, der hat nun ausgejodelt,

jetzt kommt die Karre aus dem Dreck: Wir werden umgemodelt!

Wie sag ich's meinen Lesern gleich:

Wir kriegen jetzt das Dritte Reich!

Wenn ich wüßte, was der Adolf mit uns vorhat,

Wenn er erst die Macht am Brandenburger Tor hat?

Müssen wir dann alle braune Hemden tragen?

Darf dann niemand mehr das Wörtchen »nebbich« sagen?

Wird ein Vollbart unsre Heldenbrust bedecken?

Werden wir zum Gruß die dürren Arme recken?

Rufen wir dem Adolf »Heil«?!

Oder auch das Gegenteil?

Bald gibt es keine Mollen Bier, nur Met gibt es zu trinken,

Und bei Kempinski rollen wir aufs Brot den Bärenschinken.

Statt Girls tanzt ein Walkürenchor bei Herman Haller balde,

Das Kadeko macht Kabarett im Teutoburger Walde.

Hab ich das richtig vorgeahnt?

Ich weiß ja nicht, was Adolf plant!

Wenn ich wüßte, was der Adolf mit uns vorhat,

Macht er aus Berlin nur eine Münchner Vorstadt?

Wird das Tageblatt Fraktur nur schreiben?

Wird der Kreuzberg ohne Haken bleiben?

Darf sich Reinhardt nur noch Goldmann nennen?

Oder wird man ihn trotzdem verbrennen?

Trifft ins Herz uns Adolfs Pfeil?

Oder nur ins Gegenteil?

(Nachgedruckt in: Volker Kühns verdienstvoller Kabarettsammlung: "Kleinkunststücke". Bd. 3. 2001. 29f.

Dieses satirisch flotte, kritische und prophetisch kluge Chansons wurde zuerst 1931 vorgetragen im Berliner Corso-Kabarett. Krüger lebte damals in Berlin, als Schauspieler und Künstler; nach 33 blieb er aus privaten Gründen als unterbeschäftigter Unterhaltungshumorist weiter in Deutschland.

 

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Zur Biografie:

Krüger, Hellmuth ( 10. 6. 1890 in Dorpat/Tartu - 18. 1955 in München) Lebensstationen: Privatunterricht u. Zeddelmannsches Privatgymn. in Dorpat. 1907 Birkenruh. Schauspielschüler in München und Berlin. Schauspieler, Operettensänger, Kabarettist, auch Mitarbeiter der "Lustigen Blätter" u. d. "BZ am Mittag". Seit 1945 in München am Bayer. Rundfunk u. a. Sendern. 1945 - 48 am Kabarett "Die Schaubude". Verf. von Drehbüchern und einer Operette.

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H. K.: Das Reimlexikon

Ein kleines rosafarnes Band umwindet

Erblühter Reime kunterbunten Strauß.

Der "Aprikosen" an die "Rosen" bindet

Und "Mops" an "Klops" und "Laus" an "Maus" und "Haus".

Das rosa Reclambändchen hilfreich kündet

Den schweren Weg durch wirren Dichterwald,

Wo jedem Wort das Echo sich verbündet,

Geballt aus Spalt gewinnt Gestalt und Halt.

Flieht nachts der Schlummer dich in heißem Bette,

Nimm diese Wunderfibel aus dem Spind:

Du liest de Reime wunderliche Kette

Und ahnst Gedichte, die von Goethe sind.

(Aus: Alfred Frey: Baltisches Vortragsbuch. Riga 1926. S. 100)

Bibliografisches:

Bücher (selbständige Veröffentlichungen):

- (Hg.) Novellen und Dramen. XI. Charlottenburg: Lehmann (= Ostsee und Ostland 1, Bd 2. 1916. - Das Loch im Vorhang. Licht- und Schattenbilder aus dem Deutschen Theater. Bln: Eysler (= Lustige Bücherei Bd 35) 1920.

- Geheimblätter des Deutschen Theaters. 1921. - Von Liebe ist nicht die Rede. Erzählungen. 127 S. Mchn: Drei Fichten Verl. 1947.

- Unordentliches Bilderbuch. Gedichte und Zeichnungen. 101 S. m. Abb. Mchn: Pohl (1954)

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Und noch weitere Texte von H.K., die nicht verloren gehen sollten:

Der Dichter

Plötzlich schäle ich mich aus mir heraus

und werfe mich in die Welt -

ein Blitz, der sie durchgrellt.

Keuchend fliehe ich in mein Haus.

Alle Schmerzen zittern in mir:

Ich war Wir

und wurde wieder Ich.

Staunend finde ich mich,

ruhig brennendes Licht,

im Gedicht.

 

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Plötzlicher Morgen

Unvermutet aufgewacht

weht mir Wind entgegen.

Heller Morgen überdacht

mich auf grünen Wegen.

Blumen stehen kraus geneigt:

Bunte Teppichsäume.

Eine kleine Wolke steigt

auf die Apfelbäume.

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Sonntag-Nachmittag

Die Stadt ist leer, die Straße glatt,

am Baume gilbt das grüne Blatt.

Zwei Tauben trippeln auf dem Damm.

Mein Kopf ist wie ein nasse Schwamm.

Wenn ich pack’ und ihn zerdrück’,

bleibt nur ein Bündel Luft zurück.

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Besuch

Leere Wände starren mir entgegen,

steige ich in mein Gehirn.

Und ich stehe sehr verlegen

hinter meiner glatten Stirn.

Schwarze Nägel kriechen in die Mauer,

die Tapete ist zerfetzt.

Kummervoll geht der Beschauer,

tief im Innersten verletzt.

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Gericht

Tiefer sinke ich und tiefer,

heller leuchtest du und heller.

Kürzer werden meine Schreie

und mein Herz schlägt schnell und schneller.

Schwächer werden meine Hände.

Nur dein Licht wird immer lichter.

Leben: totgeweihter Kerker -

Und ich selbst der letzte Richter.

(Bereits 1924 erschienen in dem "Baltischen Dichterbrevier"; herausgegeben von Werner Bergengruen, im Neuner Verlag Berlin und Leipzig. S. 111)

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Fazit: Ein erfreulicher, ein verwunderlicher Fall von literarischer Unverwüstlichkeit. Nun, der materielle und soziale Zeitzusammenhang über die Jahre hinweg - von unserer bundesdeutschen Gegenwart aus zurück zum Dritten Reich, in die Weimarer Zeit, in die frühe lettische Republik, ins deutschsprachige Livland - ist kaum mehr herzustellen. Es wäre ein erzählerischer Spannungsbogen für ein solches Leben zu gestalten. Wir können Krügers (erhaltenes) knappes Werk aber als Beispiel für eine integre private und künstlerische Existenz ehren, über historische Katastrophen hinweg: Gedichte und Geschichte, aus der wir lernen, daß es sich lohnt, zu lernen; daß wir aus entlegener Ecke der Weltliteratur immer wieder überrascht sind über die Individualität und Humanität und sprachliche Kreativität von Dichtern, denen Zeiten, Umstände, Politiker und ihre kulturschindenden Landsknechte als miese Mitläufer übel mitspielten...

Ehren wir einen interessanten Fall von Aufrichtigkeit und literarisch ungebrochener Bedeutung.